Umsatz und Jobs gibt's nur in der High-Tech-Schmiede

■ Sachsen feiert Siemens als Motor des wirtschaftlichen Aufschwungs im Bundesland. Unterm Strich jedoch hat der Elektronikkonzern seit der Wende mehr Jobs vernichtet als geschaffen

Unterschiedlicher könnte die Stimmung nicht sein. Während aus der Dresdner Siemensfabrik oben am Elbhang eine Erfolgsmeldung nach der anderen kommt, gibt es bei der unten im Tal fast nur noch Hiobsbotschaften. „Oben“ produziert die Siemens-Tochter simec (Siemens Microelectronics Center Dresden) in einem hochmodernen Werk Halbleiter. „Unten“ fertigt Siemens im Stadtteil Übigau Elektro-, Trafo- und Medizintechnik.

1994 war „oben“ mit dem Bau der 2,2 Milliarden teuren High- Tech-Fabrik begonnen worden. Mitte 1996 startete die Produktion. Seither entzückt das Werk mit Superlativen: Ursprünglich waren hier 1.450 neue Jobs geplant. Mit 2.717 Mitarbeitern sind heute fast doppelt so viele Menschen in Lohn und Brot. Im letzten Herbst wurde der 50millionste Chip produziert. Der Umsatz stieg 1997 auf 600 Millionen Mark. Als erster Hersteller in Europa nahm simec Anfang des Jahres die Serienproduktion des 64-Megabit-Chips auf – der neuen Generation von Speicherbausteinen. „Inzwischen kommen 4 Prozent der weltweiten Halbleiterproduktion aus Dresden“, frohlockt Oberbürgermeister Herbert Wagner (CDU) stolz.

„Unten“ blieben von den ursprünglich über 1.000 Mitarbeitern ganze 400 übrig. „Dabei hat Siemens versprochen, in unserem Werk 3.000 Arbeitsplätze zu schaffen“, so Betriebsratschef Olaf Kühn. Der Bereich Medizintechnik – zuletzt mit 240 Mitarbeitern – wird diesen Monat von einer Kündigungswelle überrollt. 110 Menschen verlieren ihren Job oder werden in Fremdfirmen umgesetzt. „Das ist der Auftakt zur Werksschließung“, mutmaßt Kühn. Betroffen ist vor allem die Vorfertigung von Krankenliegen und Röntgengeräten, die nach Oberfranken ausgelagert wird. Vorfertigung bedeutet viel manuelle Arbeit. Und mit der läßt sich heute kaum noch Profit erziehlen.

Im nächsten Jahr, da ist sich der Betriebsrat sicher, wird ein weiterer Produktionszweig abgewickelt. Kühn: „Es bleibt hier lediglich eine Schauwerkstatt übrig, um auch künftig noch Hermesbürgschaften für Osteuropa zu bekommen.“ Dort werden dann maximal noch etwa 100 Mitarbeiter beschäftigt sein.

Das Dresdner Werk „oben“ scheint tatsächlich nur ein Problem zu plagen: Es gibt zu viele unbesetzte Stellen. „Wir haben große Probleme, genügend ausgebildete Fachkräfte zu finden“, so simec- Geschäftsführer Michael Schulz- Drost. 1996 konnte simec auf das Reservoir von ehemaligen Robotron-Mitarbeitern zurückgreifen. Doch dieser Markt ist längst abgegrast.

„Siemens hat für seine Dresdner Werke über 1,6 Mrd. Mark Fördermittel vom Staat eingestrichen. Der Konzern stellt sich jetzt in Übigau nicht seiner sozialen Verantwortung“, so IG-Metall- Chef Ralf Konstanzer. Der Stellenabbau bringt die Dresdner auf. Es gab Straßenblockaden und Protestzüge. Seit Mai unterschrieben weit über 7.000 Menschen den Übigauer Appell. Tenor: „Es muß endlich Schluß sein mit der Arbeitsplatzvernichtung.“ Simec- Chef Schulz-Drost heizte die Stimmung noch zusätzlich auf. „Eine moderne Gewerkschaft sammelt nicht Unterschriften für den Erhalt des Siemens-Standortes Übigau, sondern zur Schließung desselben“, hatte er erklärt.

Oben. Unten. Die unterschiedliche Stimmung beschäftigte inzwischen sogar den sächsischen Landtag. „Allein für das Dresdner Chip- Werk erhielt Siemens 1,5 Millliarden Mark Fördergelder“, so Sachsens PDS-Frontfrau Christine Ostrowski in der Debatte. Die Arbeitsplätze hätte Siemens in Sachsen hingegen insgesamt von 8.000 auf 6.500 reduziert. Ihr Fazit: „Siemens plündert den Staat wie eine Schatzinsel.“

Derlei harsche Töne forderten Widerrede heraus: Der CDU-Parlamentarier Helmut Mühe beschimpfte die PDS-Politikerin Ostrowski als „Investorenscheuche“. Ausgerechnet Umweltminister Arnold Vaaz versuchte sich in der Landtagsdebatte als Wirtschaftsminister: Man dürfe Siemens nicht wie ein „Ganovenkartell“ behandeln. Im übrigen werde sich die Regierung um Erhalt oder Ersatz jeder einzelnen Stelle bemühen. An der bevorstehenden Kündigungswelle hat dieses Versprechen nichts geändert.

Während dadurch das Werk „unten“ fast bis zur Bedeutungslosigkeit schrumpft, will das Werk „oben“ weiter wachsen. „Unsere Strategie ist von der Schließung des englischen Chipwerkes nicht betroffen“, heißt es selbstbewußt bei simec. Am Wochenende war bekanntgeworden, daß Siemens eine andere moderne High-Tech- Schmiede, die Chipfabrik North Tynesien an der Nordküste England, 1999 Jahr dichtmacht. Gerade mal 15 Monate ist es her, daß die Queen das 1,7 Mrd. Mark teure Werk eröffnete. Seither ist aber der Weltmarktpreis für die dort produzierten 16-Megabit-Chips von 50 auf 1,20 Mark pro Stück abgestürzt. Nick Reimer, Dresden