Her mit dem Sippenkonto!

■ betr.: „Heftige Proteste gegen Mehmets Ausweisung“ u.a., taz vom 30. 7. 98

Die „Abschiebungserlaubnis“ Mehmets und seiner Familie ist die zeitgenössische Schande für die bayerische Justiz. Es ist fast sicher, daß diese Entscheidung vom Bundesverwaltungsgericht oder vom Europäischen Gericht für Menschenrechte nicht bestätigt werden kann. „Mehmet“ wurde in Deutschland geboren, er hat die Erziehung einer finanziell schwachen deutschen Familie genossen. „Mehmet“ ist ein deutsches Kind mit besonderen Problemen wie viele Kinder in seinem Alter: Das sind die Probleme einer wertlosen und pseudochristlichen Gemeinschaft. Sie sind das traurige Resultat einer kinderfeindlichen Politik und einer geldgierigen und süchtigen Gesellschaft. [...] Theo Costas, Dresden

Setzen wir den Fall, Sie sind Eltern in der BRD. Dann müssen Sie das betriebswirtschaftlich sehen: Der Staat investiert, und dafür will er einwandfreie Ergebnisse – gute deutsche StaatsbürgerInnen oder – mit der Einbürgerung wollen wir ja nicht so inflationär um uns werfen – ein deutschähnliches Verhalten mit entsprechenden Sprachkenntnissen.

Das fängt doch schon vor der Geburt an. Der Staat bemüht sich ja sogar um Kinder, die eigentlich gar nicht so erwünscht sind – Behinderungen bilden da eine Ausnahme. Kindergeld gibt es, einen Platz in einem – vielleicht etwas überfüllten – Kindergarten, nicht notwendigerweise mit geschultem Personal, meinen die einen, und ob es so viel sein muß, da sollte auch noch mal drüber gespart werden. Schulgeld müssen Sie nicht zahlen! Dafür werden Ihre Kinder von meist bewährten, staatstreuen älteren Damen und Herren durch die Tücken der Rechtschreibreform, diverse, am liebsten unverfängliche historische Ereignisse oder mathematische Schliche geführt. Auch dies in einer die sozialen Fähigkeiten fördernden und fordernden Gruppenstärke. Gleichzeitig bietet er nahezu kostenfrei ein ständiges mediales, sogar multimediales Unterhaltungsprogramm, das Ihren Sprößlingen zu jeder Tages- und Nachtzeit einen forschenden Blick in die Welt ermöglicht. Und die Welt ist schlecht: Schauen Sie sich nur mal all diese ausländischen Schundfilme an!

Und wenn Ihr Sprößling nach all der stattlichen staatlichen Unterstützung, die man ihm zukommen ließ, völlig aus dem Ruder läuft, weil er vielleicht Wirklichkeit und Film verwechselte oder die Konsumeinladungen zu ernst genommen hat oder zu der mittlerweile wachsenden Schicht der verarmten Kinder zählt oder erleben mußte, wie Ihnen Ihre Arbeitslosigkeit zu schaffen machte – dann haben Sie trotz der vielen Zeit, die Sie mangels Arbeit haben, wohl Ihre Aufsichtspflicht verletzt!

Dann gibt es zwei Möglichkeiten: Sie sind InländerIn? Dann haben Sie Glück, denn Ihr Sprößling – und nur Ihr Sprößling – wird im Extremfall weggeschlossen. Sie sind AusländerIn? Dann haben Sie Pech, denn Ihr Sprößling und Sie gleich mit ihm werden ausgewiesen.

Zur besseren Buchungsplanung soll ja die Einführung eines Sippenkontos beitragen. So können Sie beispielsweise die Verderbtheit des einen Sprößlings durch einen zweiten, gelungenen ausgleichen: Also: Ihr Sohn ist Schläger, Dieb, Mörder – dann könnte eine Schwester, die Akademikerin, Nonne oder Handwerksmeisterin ist, dies ausgleichen. Öffentliche Elterngelöbnisse können die Eingliederung in die Gesellschaft fördern, und eine gemeinsame Familienuniform kann die Identifizierung erleichtern. Abzeichen für Unauffällige, Auffällige oder Vorbildliche signalisieren dem Menschen auf der Straße, mit wem er es erst gar nicht zu tun haben will. Bei erfolgreichen Erziehungsaktivitäten wird das Kindergeld nach einem festgelegten Schlüssel erhöht, und ab drei erfolgreich erzogenen Kindern (siehe oben) winkt das Mutterverdienstkreuz oder ein Vatertagsorden. Durch den Nachweis von Fortbildungen können Titel wie „Diplomeltern“ erlangt werden, von Hochschulen winken Ehrendoktorwürden (Dr. elt. h.c).

Dies alles behebt soziale Mißstände und trägt zur Wiederbelebung der Familie als Stütze des Staates bei. Daniela Kaminski, Münster