Gedenken, Bedenken, etc.
: Aus unserer Mitte

■ In der Mahnmalsdebatte bedarf es keiner Didaktik, sondern einer politischen Geste

So wie die Dinge momentan liegen, sieht es so aus, als sei der Widerstand gegen das Holocaust-Mahnmal ein Akt des zivilen Ungehorsams, erste Bürgerpflicht, wenn der Staat sich zu pompös gerieren will. Die wütende Entschlossenheit des Bundeskanzlers, unbedingt noch vor Torschluß eine Entscheidung in seinem Sinne herbeizuführen – also bauen, und zwar Eisenman! –, nährt dieses Unbehagen täglich. Sein Dezisionismus erinnert an den François Mitterrands, der auf die letzte Minute Paris in großem Stil mit Repräsentationsbauten überziehen ließ, die laut seinen Namen rufen, der Geschichte sein Gepräge geben sollten. Von einer souveränen demokratischen Regierung wünscht man sich damenhafte Zurückhaltung bei den letzten Amtshandlungen. Entscheidungen von solcher Tragweite wie die über das zentrale HolocaustMahnmal soll treffen, wer frische Mehrheiten hinter sich weiß.

Aber die Motive der Gegner sind schwerer zu überschauen, als es die hitzige Wahlkampfrhethorik glauben macht. Eine seltsame Phalanx hat sich da gebildet: Da ist einerseits die Fraktion, die keine „Hauptstadt der Scham“ (Diepgen) will und sich darin der kräftigen Zustimmung vieler Berliner sicher sein kann. Schon möglich, daß sich Schröders, neuerdings im Windschatten seines designierten Kulturbeauftragten Naumann geäußertes Unbehagen aus ähnlichem Ressentiment speist. Naumanns Verweis auf die bereits existierenden „Schandmäler in den Vernichtungslagern“ deutet jedenfalls darauf hin. Fast fühlt man sich an die Schmähreden über den Versailler Vertrag erinnert!

Dann sind da die linken Kritiker des Projekts, denen das Mahnmal als „Gründungsopfer der wiedervereinigten Nation“ verdächtig ist. Sie können sich – weil die Bundesrepublik für sie der Nachfolgestaat des Dritten Reichs ist, egal, wie sie sich dreht und wendet – überhaupt keine staatliche Geste vorstellen, die dem Verbrechen irgendwie angemessen wäre. Also Totalverzicht, stille Zerknirschung statt demonstrativer Reue. Und schließlich gibt es die Gegnerschaft aufgrund ästhetischer Bedenken: Welche künstlerische Geste könnte die Monströsität der Massenvernichtung angemessen darstellen? Wie soll die Gegenwartskunst, die sich in der Posthistoire wähnt, Geschichte zum Sprechen bringen? Diese – von großen Teilen des Feuilletons vertretene – Position kann aber irgendwie nicht glaubhaft versichern, daß es nur am richtigen Entwurf mangelt. Bei der Erleichterung, mit der sich diese Einwände an György Konráds Rede vom Holocaust-Kitsch anschlossen, wurde man das Gefühl nicht los, daß es auch für sie keinen richtigen Entwurf gibt. Im Gegenteil: je „richtiger“ ein Entwurf, je mehr öffentliche Zustimmung er findet, je mehr Menschen das Gefühl haben, er brächte einigermaßen zum Ausdruck, was sie beim Gedanken an die Judenvernichtung empfinden, desto rigoroser müssen sie ihn verwerfen. Es ist eine ursprünglich konservative, inzwischen mit dem Vokabular der Kritischen Theorie legitimierte Kulturkritik, die sich einfach in der Gesellschaft größerer Massen nicht recht wohl fühlt. Und es waren größere Massen, die sich an den drei Kolloquien beteiligt haben, die in zähen, aber an Kenntnis, Takt – und Geschmack! – reichen Debatten zu dem Ergebnis gekommen waren, daß es fünf brauchbare Vorschläge gibt, aus denen man nun guten Gewissens einen hätte auswählen können. Es waren natürlich nicht die Stammtische, die da debattiert haben, sondern das erweiterte Milieu der SPD-und Grünen-Wähler – also fast das halbe Berlin. Ein Entwurf, der sie hinter sich wüßte, ist der Kulturkritik aber eben schon zu „affirmativ“, stört zuwenig, ist „Kitsch“.

An der Initiative für ein Holocaust-Museum sind einige beteiligt, die seit langem hartnäckig für das Mahnmal streiten. Mit der Forderung nach noch mehr Aufklärung – als gäbe es nicht längst genug Aufklärung – hoffen sie vielleicht, das Mahnmal von dem Vorwurf zu entlasten, es leiste kognitiv nichts, der Besucher erfahre nicht, was genau erinnert werden soll. Didaktik soll Kitsch und Ideologie vermeiden helfen; Vorbild soll ausgerechnet Israels Gedenkstätte Yad Vashem sein, die mit gutem Grund und allerhand Kitsch nun in der Tat eine nationale Gründungslegende erzählt.

Nein, ein Museum ist wohl nicht das Dringendste. Worauf alle warten, das ist doch wohl eine Geste aus unserer Mitte, nicht von den Belehrten an die Unbelehrbaren, von den Empfindsamen an die Rohen, von oben nach unten, – sondern vielmehr so was wie Boris Jelzins Rede über die Abschlachtung der Zarenfamilie durch die russische Revolution; wie Bill Clintons Entschuldigung an die Versklavten, wie Brandts Kniefall in Warschau – nur eben aus Stein. Den Entwurf dazu gibt es schon. Mariam Lau