■ Berlin: Gorki Theater will Fassbinders „Müll, Stadt, Tod“ aufführen
: Mehr Gelassenheit, bitte

Wie ein müdes Gespenst schiebt sich plötzlich aus dem Ungefähren eine Auseinandersetzung wieder ins Bild, deren Heftigkeit schon damals, 1985, einigermaßen rätselhaft war. Das Berliner Maxim Gorki Theater möchte eines der schlechtesten Stücke der Gegenwartsliteratur, Rainer Werner Fassbinders „Der Müll, die Stadt und der Tod“, wieder aufführen, und der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Andreas Nachama, protestiert mit einem Goebbels-Vergleich und der Forderung an den Senat, dafür zu sorgen, daß „von Berlin nicht wieder falsche Zeichen ausgehen“.

An den großen Kulturkämpfen der frühen achtziger Jahre – der Verleihung des Goethe-Preises an Ernst Jünger, dem Auftritt des Bundeskanzlers auf dem Soldatenfriedhof in Bitburg, der verhinderten Fassbinder-Aufführung und der Rede des damaligen Bundespräsidenten zum Jahrestag des Kriegsendes – kann man den Abstand ermessen, den die bundesrepublikanische Öffentlichkeit seither zurückgelegt hat. Jünger ist recht gelassen, ohne Schaum vor dem Mund, auch vom linken deutschen Feuilleton verabschiedet worden, der Bundeskanzler möchte als letzte Amtshandlung ein Holocaust-Mahnmal bauen, und Weizsäckers Rede ist so eine Art Common sense.

Warum also Fassbinders „Müll“ recyceln? Und warum gegen die Blamage, die dem Gorki Theater damit höchstwahrscheinlich ins Haus steht, von Staats wegen einschreiten? Wer Fassbinder aufführt, hat meist die große Geste des Maske-Herunterreißens im Sinn. Die innere Mechanik der Verhältnisse soll freigelegt werden, und die entpuppt sich bei Fassbinder in aller Regel als ein Rosenkranz aus Sadisten und Masochisten, die unrettbar ineinander verflochten sind.

Je tiefer die gesellschaftlichen Schichten, in die sich Fassbinders nach Brecht, Horvath und Fleisser modelliertes Volkstheater hinabwühlt, desto größer die Nähe zum Hurenkitsch, zur Penny-opera.

In „Der Müll“ wird die schwindsüchtige Hure geschlagen, bis sie weiß, was Liebe ist. Als sie sich aber dann „dem Juden“, einem Häuserspekulanten, zuwendet, wird „ihr Schinder“ vor Schreck homosexuell und läßt sich dann faustficken und halb totschlagen. Schließlich will sie sich vom Juden töten lassen, der ihrer Bitte gern nachkommt, in Tateinheit mit dem Polizeipräsidenten. Und so weiter: ein Sittengemälde, das naiv von den Gefühlen der kleinen Leute schwärmt, die natürlich in ihrer Geilheit und ihrer Naziheit auch immer ziemlich unappetitlich sind.

Fassbinder hat sein Stück mit dem Argument verteidigt, das in Zusammenhang mit der Zensur künstlerischer Werke immer das allerschlechteste ist: der Behauptung nämlich, es gebe die Realität wieder. „Dieser Jude ist reich, ist Häusermakler, trägt dazu bei, die Städte zuungunsten der Menschen zu verändern; er führt aber letztlich nur Dinge aus, die von anderen zwar konzipiert wurden, aber deren Verwirklichung man konsequent einem überläßt, der durch Tabuisierung unangreifbar erscheint. Und natürlich gibt es auch in diesem Stück Antisemiten. Sie geben nicht die Meinung des Verfassers wieder, dessen Haltung zu Minderheiten eigentlich bekannt sein sollte.“

Hier springt einem Freuds „Gegensinn der Urworte“ aus allen Zeilen entgegen: Der Jude ist nur ein Archetyp für alle Minderheiten, er kann nichts für sein Spekulieren, unter ihm kommt höchstens noch der Homosexuelle.

Daß Juden sich diese liebe Handreichung verbitten, leuchtet ein. Ebenso, daß Andreas Nachama, der noch nicht allzu lange den Vorsitz der Gemeinde bekleidet, sich explizit als jüdischer Lobbyist profilieren will, der die Berliner Gemeinde eben nicht nur als „lebendes Mahnmal“ versteht, sondern als laute öffentliche jüdische Stimme im Sinne etwa des American Jewish Congress (AJC). Nur bezieht diese Stimme ihre Stärke nicht zuletzt aus ihrer hartnäckigen Liberalität: Gemeinsam mit den Bürgerrechtsorganisationen haben viele Mitglieder des AJC beispielsweise die Demonstrationsfreiheit von Nazis verteidigt, als diese einen Zug durch den Mittleren Westen planten. Soviel Gelassenheit sollte sich gegenüber einem mittelprächtigen Stück von Rainer Werner Fassbinder doch auch mobilisieren lassen. Mariam Lau