„Wir haben keine Zukunft“

■ Seit über anderthalb Jahren ist die kurdische Familie Akin im Kirchenasyl im ostfriesischen Aurich Ohne Papiere droht die Abschiebung

„Sitzen, kochen, essen und immer traurigsein“, so umschreibt Türkan Akin (29) ihren Alltag in Deutschland. „Ohne die Hilfe unserer Gemeinde könnten wir nicht überleben“, fügt ihr Mann, Yasar Akin (30) hinzu. Nachdem er sich vor sechs Jahren weigerte, in die paramilitärische Dorfmiliz einzutreten, flüchtete er mit seiner Familie 1992 nach Deutschland. Zwei Brüder von Frau Akin fand man 1997, erschossen von der Dorfmiliz. „Laßt unsere Kinder in Deutschland, hier werden sie ermordet“, flehen die Eltern. 1996 wurde ein erstes Asylverfahren der Akins abgeschlossen. Sie wurden aufgefordert, Deutschland zu verlassen. Akins beantragten ein zweites Verfahren. Dies wurde abgelehnt. Zur Zeit läuft ihre Klage vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, doch noch ein zweites Asylverfahren zu erstreiten. Seit Februar 1997 leben Türkan und Yasar Akin mit ihren Kindern Ibrahim, Eda und Gülnaz im Kirchenasyl der evangelischen Gemeinde St. Johannes in Aurich/Ostfriesland.

Als Kurden und der Religionsgemeinschaft der Yeziden zugehörig, sind die Akins doppelt gefährdet. Die türkische Regierung führt Krieg gegen Kurden – mit deutschen Waffen. Yeziden werden als Glaubensgemeinschaft in der Türkei verfolgt. Das ist selbst dem örtlichen CDU-Bundestagskandidaten Helmut Bongartz zuviel: „Die Türkei verletzt die Menschenrechte. Ich bin gegen Waffenlieferungen in die Türkei“. Trotzdem meint er: „Ich kann mit der gängigen Praxis des Ausländerrechtes leben.“

Anders reagierte der Kirchenvorstand von St.Johannes. Der öffnete Familie Akin die Kirche. Vorgeschlagen wurde sie von kirchlichen FlüchtlingsberaterInnen. „Kirchenasyl ist keine Lösung“, meint dazu Gemeindepastor Günter Selbach. „Entweder müssen die vorhandenen Spielräume der Asylgesetze ausgenutzt werden oder die Gesetze müssen geändert werden.“ Die Kirche, so Selbach, sei kein rechtsfreier Raum. Die Polizei kann jederzeit Familie Akin aus dem Gotteshaus holen. „Eine solche Aktion werden wir aber nicht einfach akzeptieren“, überlegt die Kirchenvorstandsvorsitzende Helga Wessel. Als durch einen technischen Defekt vor ein paar Monaten nachts die Kirchenglocken läuteten, wollten Gemeindemitglieder „die Asylbewerber“ schützen. Der Rat der Stadt Aurich hat sich für das Kirchenasyl ausgesprochen.

Trotzdem sieht die Zukunft für Familie Akin nicht rosig aus. Zur Zeit bemüht sich eine 50köpfige Unterstützergruppe um die Wiederaufnahme des Asylverfahrens. Regelmäßig durchsucht die Polizei in der Türkei die Wohnung von Türkans Eltern nach Tochter und Schwiegersohn. Im März 1997 nahm Yasar Akin an einem kurdischen Festival in Köln teil. Während eines Interviews, in dem er den Erhalt des kurdischen Senders Met-TV in Deutschland fordert, wird Akin auch vom türkischen Fernsehen gefilmt.

Die türkische Regierung verurteilt das Festival als terroristische Aktion. Damit ist Yasar Akin endgültig zum Freiwild in der Türkei geworden. „Wir haben keine Zukunft“, sagt er. Der für kurdische Verhältnisse wohlhabende Bauer hat, um die Flucht finanzieren zu können, Tiere und Maschinen in der Türkei verkaufen müssen. Sein Land ist von der Dorfmiliz konfisziert. Staatliche Zuwendungen erhalten die Akins in Deutschland nicht. „Die Gemeinde ist unsere Sozialhilfe“, meinen Akins mit Galgenhumor. Als sich Tochter Eda vor kurzem den Arm gebrochen hatte, mußte die Hilfe mit solidarischen ÄrztInnen und HelferInnen „organisiert“ werden.

Einen Antrag an den Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages hat das Bundesinnenministerium vor kurzem negativ beurteilt. Man könne, sagt der Minister, nicht die bloße Religionszugehörigkeit der Akins als Yeziden als Asylgrund akzeptieren, es komme vielmehr auf die individuelle Glau-bensintensität an.

Gila Altmann, für die Grünen im Petitionsausschuß, ist entsetzt: „Da hätte der Minister auch sagen können, in Deutschland wären keine Juden vergast worden, weil sie Juden waren, sondern ausschließlich weil sie strenggläubige Juden waren.“

Thomas Schuhmacher