■ Vorlauf
: Unterste Schublade

„So ein Zirkus!“, 18 Uhr, ZDF

Serien im Vorabendprogramm erzeugen immer häufiger diese völlig fremdartige, leere Stimmung. Es ist, als betrachte man einen laufenden Fernseher durch einen anderen laufenden Fernseher hindurch. Diese unangenehme Empfindung von Ortlosigkeit erweckt die neue 12teilige ZDF-Vorabendserie „So ein Zirkus!“ unter anderem dadurch, daß die Lokalität des Schauplatzes – der Zirkus – atmosphärisch nicht im mindesten eingefangen wird.

So sehen wir Artisten in der Manege und Trapezkünstler in der Zirkuskuppel. Die Bilder sind völlig clean, aseptisch. Ohne Rücksicht auf die räumliche Beschaffenheit eines Zelts oder den zeitlichen Ablauf einer Zirkusvorstellung werden da Szenen aneinandergeklatscht wie im Fotoalbum.

Ähnlich seelenlos ist der Aufbau der Geschichte. Zirkusdirektor Stolz ist am Ende, weil ihm das Zelt weggeflogen ist. Er hat signifikante Herzschmerzen und außerdem hohe Schulden bei seinem Sohn. Der ist Zahnarzt und verheiratet mit einer Frau, die keinen Zirkus mag. Der Zahnarzt hat außerdem einen schlagzeugspielenden Sohn, der in der Schule schlecht ist, und eine Tochter, die gerade flügge ist. Wenn diese Dentisten-Bagage auf der Terrasse des biederen Eigenheims frühstückt, so wird der ahnungslose Zuschauer mit Wortwechseln konfrontiert, die schmerzhafter sind, als wenn der Mann ohne Betäubung auf dem Nerv bohren würde. Original aus dem Guinness-Buch für mißlungene Dialoge.

Außerdem gibt es einen glatzköpfigen Löwenbändiger, der im Spielcasino eine pseudomondäne Tante kennenlernt, die weder schauspielern noch auf ihre Jetons aufpassen kann. Unterste Schublade. Die Zeichnung der Charaktere ist durchweg so flach, daß es einem die Schuhe auszieht. Ein Blick in Folge acht zeigt, daß der Zahnarzt – wie nicht anders zu erwarten – seine Frau verlassen und die Nachfolge seines Vaters als Zirkusdirektor angetreten hat. Er ist jetzt mit einer anderen Frau aus dem Zirkus zusammen, von der in Folge eins ausdrücklich gesagt wurde, daß sie schön sei. Die Artisten in der Zirkuskuppel: gnadenlos. Manfred Riepe