■ TV und Politik
: Niedergang eines Ideals

Die Parteien lieben sie, die Zuschauer schalten oft weg, die Sender wollen sie am liebsten loswerden. Für den Wahlkampf hatten die TV-Wahlspots wohl allenfalls in den 70er und 80er Jahren eine gewisse Bedeutung, als auch die großen Parteien in juristischen Schlachten um die Verteilung der TV-Werbezeiten stritten: Die SPD klagte gegen Spots der CSU (vergeblich), die Grünen klagten auf mehr Spots (z. T. erfolgreich), und kleine Parteien klagten auf bessere Sendezeiten. Es war die Zeit, in der SPD und Union auch ansonsten jede Sekunde ihrer TV-Präsenz gegenseitig aufrechneten: Der Spot war nicht nur ein getreues Abbild der Politik, an der Präsenz im Fernsehen wurde die Repräsentanz des Volkes gemessen.

Heute weiß man, daß dererlei Streitereien das letzte Aufbäumen waren: Das Fernsehen (besonders das private) hat sich von den klassischen Handlungen der Politik (die Rede; die Erklärung; die stereotype Diskussion) mit vermeintlich programmatischen Gehalt weithin befreit und der Politik seine eigenen Formen aufgezwungen: das inszenierte Ereignis; das pointierte Statement; die Talkshow. Da liegt das Programmatische eher in der Form. Seitdem das Privatfernsehen kam, regierte überall die Quote. Und Politiker, das haben die Sender gelernt, machen die Quote kapputt.

Mit der Veränderung wurden auch die Spots ein wenig unzeitgemäß. Doch die Parteien beharren auf ihnen, auch wenn ihre Wirkung noch kein Medienforscher ernsthaft untersucht hat. Schließlich kann man mit ihnen, wenn man Glück hat, auf einen Schlag mehr als 3,5 Millionen Zuschauer erreichen. Sie sind ein Platz, an dem die Auswahl- und Sensationskriterien der Sender umgangen werden können. Hier darf jeder alles, ob groß oder klein. Es ist einer der letzten Orte, an denen sich noch das egalitäre Demokratieverständnis von ehedem widerspiegelt und eine Minigruppierung wie die Deutsche Familienpartei tun darf, als trete sie unter den gleichen Bedingungen an wie die Großen: „Verschleudern Sie Ihre Stimme nicht an die Großparteien.“

Das Ganze wirkt heute ein wenig anachronistisch. Das liegt auch an den Verträgen, die die Sender zur Ausstrahlung zwingen. Sie betrachten Rundfunk und Fernsehen (auch das private) als etwas, was es in den Augen vieler in den Zeiten der Medienkommerzialisierung und der zahllosen Sender längst nicht mehr ist: als öffentliches Gut, wo Angelegenheiten der Gesellschaft verhandelt werden. So sieht es übrigens auch nach wie vor das Bundesverfassungsgericht: Fernsehen, argumentieren die Richter, funktioniert immer noch anders als Zeitungen, von denen es zahllose gibt, die man sich freiwillig antut. Daher müsse es sich unter anderem auch Wahlwerbung vorschreiben lassen.

Nun ist es eine Ironie der Geschichte, daß mittlerweile ausgerechnet die Rechten es sind, die in ihrer Unbedarftheit und in ihrem Ressentiment jenes Ideal vom Fernsehen als einer gesellschaftlichen Instanz einklagen, gegen das die Medienkonzerne energisch ankämpfen und -senden. Doch man darf vermuten, daß es nicht allein das Unbehagen an rechter Propaganda ist, die nun den Widerstand der Sender gegen die Spots antreibt.

Die Verpflichtung, Wahlspots auszustrahlen, ist ein letztes trübes Schlaglicht auf eine Zeit, in der sich das Fernsehen den Gesetzen der Politik zu fügen hatte. Nicht andersherum. Lutz Meier