„Verkaufe gesunde Niere, Typ BIII, Tel.:...“

In ihrer Not bieten Menschen in Rumänien ihre eigenen Organe zum Verkauf an. Eine Niere bringt 4.000 Dollar. Das Netz derer, die die Fäden ziehen und am Organhandel gut verdienen, reicht bis in die Türkei  ■ Aus Bukarest Keno Verseck

„Ich habe lange nachgedacht, denn ich bin religiös. Ich bin in die Kirche gegangen und habe gebetet: Lieber Gott, wenn es eine Sünde ist, lass' es nicht zu und zeige mir einen anderen Ausweg, wie ich zu Geld komme.“ Doch Gott hat Adina Tomescu nicht erhört. Und sie fand keinen anderen Ausweg, als die Kleinanzeige aufzugeben: „Verkaufe gesunde Niere, Typ B III, Tel.: ...“ Die Anzeige erschien vor einigen Wochen in einer Bukarester Tageszeitung.

Adina Tomescu, 35, lebt mit ihren zwei Kindern, einer sechzehnjährigen Tochter und einem vierjährigen Sohn, in einem Bukarester Hinterhof. Ihr winziges niedriges Haus hat ein Zimmer und einen Vorraum. Toilette und Wasser befinden sich im Hof. Das Häuschen ist spärlich eingerichtet. Ein Tisch, zwei Stühle, zwei Betten, ein Schrank. An der Wand hängen Bilder von Heiligen. Im Fernseher läuft die soundsovielte Fortsetzung eines Familiendramas.

Adina Tomescu lebt von 500.000 Lei Sozialhilfe im Monat, etwa hundert Mark. Selbst für eine Person ist das weniger als das Existenzminimum. In den Schulferien arbeitet die Tochter als Eisverkäuferin. Wenn ihr Sohn demnächst in den Kindergarten geht, will Adina Tomescu sich wieder einen Arbeitsplatz suchen. Sie ist geschieden und erhält keinen Unterhalt.

Sie hat aus der Zeitung erfahren, daß viele Rumänen ihre Nieren verkaufen, um zu Geld zu kommen. Bevor sie sich entschloß, selbst eine Anzeige aufzugeben, hat sie anonym einen Arzt angerufen. Der hat ihr gesagt, sie könne auch mit einer Niere leben. „Ich war zuerst dagegen“, sagt die Tochter Dana schüchtern. Ihre Mutter antwortet lachend: „Na ja, dann hast du mir ja doch einen Wunschzettel für Weihnachtsgeschenke geschrieben.“ Adina Tomescu will ihre Niere für 10.000 Dollar anbieten. „Aber ich lasse sowieso vom Preis nach und gehe so bis fünftausend runter.“

Die Rumänen, von denen Adina Tomescu aus der Zeitung erfahren hat, haben ihre Nieren für jeweils 4.000 Dollar verkauft. Die rumänische Polizei ist den Fällen seit dem Frühjahr auf der Spur. Angefangen hat es mit der Geschichte von George Ionescu, einem 30jährigen aus dem rumänischen Eforie. Ionescu, illegaler Arbeiter in einer Istanbuler Textilfabrik, wurde Anfang des Jahres von Türken in Istanbul angesprochen, ob er sich für 4.000 Dollar eine Niere herausoperieren lassen wolle. Er willigte ein, wurde aber wegen Gesundheitsproblemen nicht genommen. Statt dessen ließ sich sein Bruder Mircea eine Niere herausnehmen.

Die beiden Brüder leben mit ihren Familien in einer Baracke. George war vor 1989 Schlosser, Mircea Schweißer. Ihre Arbeitsplätze haben sie 1990 verloren und verdingen sich seitdem als illegale Gelegenheitsarbeiter in der Türkei, für knapp 300 Dollar im Monat – etwas mehr als der rumänische Durchschnittslohn. Nicht nur Mircea würde die Operation wiederholen. Auch sein Bruder würde sich trotz seiner schwachen Konstitution operieren lassen. Einen Arbeitsplatz finden sie in der ganzen Gegend nicht mehr, sagen sie, jetzt, wo die Geschichte mit dem Nierenhandel herausgekommen ist. Die Polizei hat ihre Ausweise eingezogen. Denn sie hätten, so ist von der Polizei in der Schwarzmeer-Hafenstadt Constanta zu erfahren, ihrerseits versucht, auf rumänischer Seite ein Netz von Spendern aufzubauen. Nach dem rumänischen „Gesetz über Organtransplantation“ vom Januar dieses Jahres droht ihnen eine Strafe von bis zu sieben Jahren Gefängnis wegen illegalen Organhandels.

Insgesamt 18 Rumänen sind der Polizei bekannt, die ihre Niere verkauft haben. Die Polizei geht davon aus, daß es in Wirklichkeit noch viel mehr Fälle gegeben hat. Doch die türkische Polizei habe bislang nicht mit der Polizei in Rumänien kooperiert, beschwert sich ein Mitarbeiter der Kriminalpolizei in Constanta. „Wir haben alle Unterlagen nach Istanbul geschickt“, sagt er, „aber die haben noch nicht mal angerufen.“

George Ionescu, der von der Polizei als Organisator des Organhandels auf rumänischer Seite verdächtigt wird, streitet zwar ab, von anderen Spendern Geld bekommen zu haben. Doch einer der Leute, die er „angeworben“ hat, erzählt eine andere Version.

Razvan Popa, ein 19jähriger aus Mangalia, 40 Kilometer südlich von Constanta, fuhr im Mai Richtung Istanbul, um sich einen Arbeitsplatz zu suchen. Im Bus saß auch George Ionescu, der ihm versprach, 4.000 Dollar „in einer Woche und ganz ohne Anstrengungen“ zu verdienen. Dann ging alles ganz schnell. Popa wurde mit anderen Rumänen, Bulgaren, Ukrainern und Moldauern in ein extra für die Nierenspender eingerichtetes Istanbuler Hotel gebracht. Zwei Tage später, nach mehreren Untersuchungen, fuhr ihn ein Mann nach Adana.

„Am Tag nach der Ankunft wurde ich operiert. Kurz vor der Operation wurde der Empfänger in den Saal geführt. Wir lagen parallel zueinander. Ich bekam Injektionen und verlor das Bewußstsein. Als ich aufgewacht bin, hatte ich fürchterliche Schmerzen.“

Drei Tage später sei er zusammen mit fünf anderen, die auch operiert wurden, wieder nach Istanbul gefahren. Als alle in den Bus nach Bukarest eingestiegen waren, habe der operierende Arzt jedem viertausend Dollar gegeben. „Er hat gesagt, wir sollen ein halbes Jahr lang nicht trinken, keinen Sport oder schwere Arbeit machen. Auch Ionescu wollte Geld von mir, für die Vermittlung. Er hat 300 Dollar verlangt, ich habe ihm nur 200 gegeben.“

Nun, dreieinhalb Monate später, würde Razvan Popa alles am liebsten rückgängig machen. „Ich habe vor und nach der Operation nicht lange nachgedacht“, sagt er. „Jetzt...“ Er redet nicht weiter und hält sich die Hände vors Gesicht. Razvan Popa lebt auf sechs Quadratmetern mit seiner Freundin in der Wohnung ihrer Eltern in Mangalia. Von dem Geld hat er Möbel, einen Fernseher, Kleidung und Geschenke für seine Freundin gekauft, „vom Rest in paar Monate gut gelebt“. Jetzt will er sich für eine Weiterbildung in Informatik anmelden. „Wenn ich Kinder habe, werde ich nie zulassen, daß sie das machen“, sagt er. „Ich habe mich für nichts verkauft.“

Anm.: Namen von der Red. geändert.