Bertelsmann-Chef gibt die Bücher ab

Der Medienkonzern aus Gütersloh wird seine Bücher kaum mehr über die guten alten Clubs los. Jetzt will er sie groß übers Internet vermarkten. Die Bilanz des drittgrößten Medienkonzerns der Welt hat viele Dellen  ■ Aus Gütersloh Lutz Meier

Mark Wössner, der Vorstandsvorsitzende des Bertelsmann-Konzerns, erzählt gern die Geschichten aus seinem schwäbischen Unternehmerelternhaus: Dort schwieg man über bevorstehende Geschäfte am liebsten – und über zurückliegende Erfolge ebenso. Was die Erfolge betrifft, hat Wössner übertriebene Bescheidenheit längst aufgegeben. Wie ein Kind sitzt der Konzernchef da stolz vor der Weltpresse inmitten seines Vorstands und hält mit beiden Armen seine Kurven hoch, die steil nach oben weisen und noch einmal zeigen sollen, wie der Laden vom kleinen Gütersloher Buch- und Zeitschriftenhaus zum großen Medienweltkonzern wurde. „Meine Lieblingscharts“, sagt Wössner liebevoll. Fast 16 Jahre regiert Wössner den drittgrößten Medienkonzern der Welt, so lange wie Helmut Kohl das Land. Und anders als der fügt sich der Chef mit einem allenfalls leisen Grummeln dem Generationswechsel, der in Gütersloh der Regel folgt: Wer 60 wird, geht (in den Aufsichtsrat).

Tatsächlich ist die Bilanz der Ära Wössner eindrucksvoller, als das, was Bertelsmann im eben zu Ende gegangenen Geschäftsjahr fabriziert hat. Die Gesamtkapitalrendite rutschte unter die Konzernvorgabe von 15 Prozent und taucht daher in den Kurven plötzlich gar nicht mehr auf. Und die schöne, steile Kurve beim Umsatz kriegt man heuer nur hin, indem man auf den Konzernumsatz von 22,9 Milliarden Mark (Vorjahr: 22,4) ein kleines Hütchen setzt, das den Bertelsmann-Anteil an der Fernsehfirma CLT-Ufa abbildet – der im vergangenen Jahr schon einmal obendrauf gesetzt wurde, in diesem Jahr aber scheinbar zum ersten Mal auftaucht. Ein internes Papier aus der Bertelsmann-Spitze rechnet zudem vor, daß das gemeldete Rekordergebnis von 1,7 Milliarden Mark nur durch Sonderverkäufe zustande kommt und dort eigentlich 1,3 Milliarden stehen müßten – der Wert von 1993.

Dabei gibt Wössner zu, „so besenrein ist das nicht“, was er seinem Nachfolger, dem Multimedia- Vorstand Thomas Middelhoff, übergibt. Auszufegen gibt es vor allem in dem Bereich etwas, für den der Konzern in Stadt und Land bekannt ist: die Buchclubs. Sie gehen nicht mehr. Der Gewinn in Deutschland stürzte in nur einem Jahr auf die Hälfte. Anders als die US-Konzerne Time Warner und Disney, mit denen Bertelsmann um den Platz an der Weltspitze konkurriert, sind die Gütersloher immer noch stark im Print verhaftet. In diesem Jahr unterstrichen sie das noch einmal, indem sie sich den US-Buchriesen Random House und den feinen deutschen Berlin Verlag einverleibten. Doch da sich die Wege, auf denen man Bücher verkauft, in den letzten Jahren rasant zu wandeln begonnen haben, haben sie fast komplett verschlafen. Ausgerechnet die Augsburger Firma Weltbild, die der ansonsten nicht eben innovationsfrohen katholischen Kirche gehört, machte Bertelsmann vor, wie man beim Buchversand gut verdient. Da das elektronische Verticken von Büchern übers Internet im Begriff ist, ein Riesengeschäft zu werden, kam die Bertelsmann-Spitze spät. Nun wollen sie im Herbst ein entsprechendes Angebot in Deutschland und Amerika starten, wo der Markt längst verteilt ist. Speziell auf den dortigen Marktführer amazon.com. gucken die Bertelsmänner mit Neid und gespicktem Portemonnaie. Wenn's irgend geht, soll versäumte unternehmerische Kreativität wieder durch einen Zukauf wettgemacht werden.

Ohnehin wird wohl Wössner- Nachfolger Middelhoff weniger zaghaft als bisher aufs Online-Geschäft setzen und die guten alten Buchclubs still und langsam abwickeln. Mehr und mehr zum Durchfegen entschlossen scheint man nach dem Führungswechsel auch beim Fernsehen. Über Pay-TV im großen Stil, das von Bertelsmann mit Kirch geplant war, wird in Gütersloh nur noch mit zerquälten Gesichtern gesprochen. Hinter vorgehaltener Hand ist viel von der „letzten Chance“ und vom „Ausstieg“ die Rede.