■ In der Clinton-Affäre geht es nicht um einen Sexskandal. Sondern um den Versuch rechter Fundamentalisten, die USA zu dominieren
: Der Versuch eines Staatsstreichs

Ich habe mich geirrt. Ich habe die Attacken auf Clinton lange als eine Art Seifenoper betrachtet – allerdings mit politischen und psychokulturellen Auswirkungen. Ich dachte, die Situation wäre hoffnungslos, aber nicht ernst. Seit der Ausstrahlung des Video ist die Unterstützung für Clinton gewachsen, ebenso die Abneigung der US- Bürger gegen Starr. So ist die aktuelle Situation für Clinton nicht mehr hoffnungslos, aber dafür sehr ernst. Seit der Veröffentlichung des Starr-Reports tobt ein in Moral verpackter politischer Kampf. In der Clinton-Krise hat sich ein schon lange währender kulturell- politischer Konflikt zugespitzt – und es geht dabei um den Versuch eines Staatsstreichs.

Starr, die republikanischen Abgeordneten und ihre Verbündeten verhalten sich opportunistisch. Zweimal haben sie bei Wahlen gegen Clinton verloren, bestürzt mußten sie immer wieder erleben, daß Clinton sich als erfolgreicher, politischer Überlebenskünstler präsentierte.

Die Ermittlungen in Sachen Whitewater dauerten fünf Jahre; Brauchbares ist für Starr dabei nicht herausgekommen. Die Lewinsky-Affäre war der Öffentlichkeit fünf Monate lang bekannt – und Starr schlug dem Repräsentantenhaus offiziell vor, dem Senat zu empfehlen, Clinton anzuklagen und aus dem Amt zu entlassen. Die dämonische Energie und fanatische Entschlossenheit, die Starr und die Republikaner in den letzten zwei Wochen an den Tag gelegt haben, legen die Vermutung nahe, daß es um mehr als einen normalen politischen Zwist geht.

Kenneth Starr, Sohn eines Predigers einer fundamentalistischen protestantischen Kirche in Texas, ist der Repräsentant einer zielgerichteten historischen Regression. Um den Präsidenten zu zerstören, haben er und die Republikaner die wörtliche Bibelexegese, eine fundamentalistische Moral und eine blinde Selbstgerechtigkeit aus der Gründungszeit der USA mobilisiert. Starr hat gesetzliche und juristische Regeln gebrochen und die Rechte des Präsidenten und einer ganzen Reihe von Zeugen verletzt. Starr hat sich unverfroren Macht angeeignet und so sein Büro in eine jenseits von Legislative, Exekutive und Judikative angesiedelte, neue vierte Säule des Staates verwandelt. Starr und die Republikaner versuchen den Pluralismus und den Säkularismus aufzuweichen, die die Idee eines gottesfürchtigen Amerika unaufhaltsam verdrängen.

Starrs Politik steht in der Tradition des Kalten Krieges und eines Vorläufers dieser Haltung: des Gesetzes über Ausländer und Aufwiegler von 1798, mit dem sich die neue Republik gegen die Ideen der Französischen Revolution wappnete. Starr und die Republikaner haben sich Größeres vorgenommen. Sie wollen die Gesellschaft nicht nur gegen eingebildete oder reale Gegner aufrüsten, sondern das gesamte öffentliche Leben neu definieren. Sie versuchen, private Moral zur öffentlichen Angelegenheit zu erklären und gewisse christliche Normen – Familienwerte oder die Kriminalisierung von Sexualität – als verbindliche nationale Werte zu etablieren. Sie zielen darauf, die in den Bill of Rights festgeschriebenen Grundrechte und die Trennung von Kirche und Staat einzuschränken.

Starr überschreitet Gesetze. Er verachtet die Geschichte unseres Gewohnheitsrechts im Namen eines moralischen Absolutismus. Damit steht er weniger in der Tradition amerikanischer Gesetze als in der von Carl Schmitt. Starr lebt in einem permanenten Belagerungszustand. Die republikanischen Abgeordneten legen eine Mischung zwischen Brutalität und Heuchelei an den Tag, dem Präsidenten gegenüber fehlt ihnen jeder Hauch von Fairneß. Sie verhalten sich, anders gesagt, wie eine Partei im Bürgerkrieg.

Die US-Elite ist stets entschlossen ans Werk gegangen, wenn es galt, Präsidenten abzusetzen, die nicht mehr nützlich waren. 1968, als es galt, den Vietnamkrieg zu beenden, wurde Johnson fallengelassen, Nixon erging es 1974 nicht anders. Mag sein, daß die medialen Attacken auf den Präsidenten Zeichen sind, daß Clinton ähnliches bevorsteht. Aber die Sache erscheint zwiespältig, unentschieden. Das Wall Street Journal publizierte in dieser Woche eine bemerkenswerte Erklärung des früheren Außenministers Alexander Haig, der forderte, die Jagd auf Clinton zu beenden.

In der Tat zählt es zu den effektivsten Strategien von Clintons Feinden, mit einer Miene frommen Bedauerns zu verkünden, daß der Präsident seine Autorität eingebüßt habe. Falls er einen Rest von Würde retten wolle, dann bleibe ihm nur der Rücktritt. Es ist freilich zu früh, um vorauszusagen, wie sich die Elite in Industrie und Finanzwelt entscheiden wird. Denn bisher hatten die meisten von ihnen in Clinton einen sehr nützlichen Präsidenten.

So sieht es auch die Mehrheit in den USA. Die Republikaner hatten fest damit gerechnet, daß nach der Ausstrahlung des Videos von Clintons Zeugenaussage der Ruf nach seinem sofortigen Rücktritt nicht mehr zu überhören wäre. Doch das Gegenteil ist der Fall: Die meisten US-Bürger waren wütend und erschreckt, wie Starr und sein Team Clinton in die Enge trieben. Hinzu kam, daß Starr unsichtbar blieb. Egal, ob normale Bürger Kafka oder Orwell gelesen haben oder nicht – es war naheliegend, sich mit dem Opfer, dem Präsidenten, zu identifizieren. Das Drängen auf eine sofortige Amtsenthebung hat deshalb derzeit an Kraft verloren.

Interessant ist, daß Starrs unter dem Banner christlicher Werte angezettelter Kreuzzug auch auf Widerstand stößt. Die schwarzen Protestanten verteidigen Clinton offen; die katholischen Bischöfe schweigen laut. Der Erzbischof von New York hat sogar erklärt, daß er sündige Schafe seiner Herde nicht öffentlich bloßstellen wird – ein scharfer Tadel für die christliche Rechte.

Schwarze und Katholiken haben in den USA allen Grund, die moralischen Ansprüche protestantischer Fundamentalisten argwöhnisch zu beobachten, besonders wenn sie aus der Mitte der von Südstaatlern dominierten Republikanischen Partei erhoben werden. Denn sie kennen aus der Geschichte deren Grausamkeit.

Und nun? Das Weiße Haus scheint noch keine Strategie für einen Gegenangriff zu haben. Wenn Clinton seine eigene Diagnose ernst nehmen und die Angriffe auf ihn als eine Verschwörung der Rechten begreifen würde, dann wäre sehr viel möglich. Denn schließlich wünscht sich die Mehrheit der US-Christen eine pluralistische und säkuläre Republik. Norman Birnbaum

Übersetzung: Karin Gabbert