Ökolumne
: Die un-heimliche Mehrwertsteuer

■ Steuerpolitik der Regierung höhlt das Prinzip gerechter Lastenverteilung aus

Die Steuerdiskussion in der letzten Wahlkampfwoche offenbart vor allem einen erschreckenden Mangel an Kenntnissen im Bundeskabinett über die Wirkungen der Steuerpolitik. Da behauptet die Familienministerin Claudia Nolte (CDU), Mehrwertsteuern seien gerecht, weil mit wachsendem Einkommen deren Belastung steige. Das kommt davon, wenn man absolute Beträge mit der auf das Einkommen bezogenen relativen Belastung verwechselt. Natürlich zahlt ein Einkommensmillionär schließlich auch wegen seines üppigen Luxuskonsums gegenüber dem Durchschnittsverdiener ein Vielfaches an Mehrwertsteuer. Gemessen an dessen Einkommen ist die Belastung im Unterschied zum Sozialhilfeempfänger jedoch verschwindend gering.

Unstrittige Studien belegen: Ab einem monatlich verfügbaren Haushaltseinkommen von rund 5.000 Mark nimmt wegen des sinkenden Anteils der Konsumausgaben die Mehrwertsteuerbelastung bezogen auf das Einkommen ab – wenn auch die Ungerechtigkeit etwas abgeschwächt wird. Denn die Steuer kennt drei Steuersätze: Wichtige Güter und Dienstleistungen des Grundbedarfs werden überhaupt nicht besteuert (ärztliche Leistungen und Vermietungen). Für Nahrungsmittel und Printprodukte – auch für die taz – gilt der ermäßigte Steuersatz von derzeit 7 Prozent. Alle anderen Konsumausgaben unterliegen dem Normalsteuersatz, der seit April von 15 Prozent auf 16 Prozent erhöht wurde. Einen höheren Steuersatz für den Luxuskonsum, wie in Belgien, sieht die deutsche Mehrwertsteuer nicht vor.

Die un-heimliche Mehrwertsteuer Steuerpolitik der Regierung höhlt das Prinzip gerechter Lastenverteilung aus

Damit nicht genug. Nach Claudia Noltes wahltaktisch unkontrollierten Äußerungen verheddert sich die Bundesregierung mit ihrem Steuersenkungsversprechen in arge Widersprüche. Am Ende helfen nur noch Lügen aus dem Dilemma. Nochmals zur Erinnerung: Die steuerpolitischen Beschlüsse der Bonner Koalition, hoch oben über Bonn auf dem Petersberg abgesegnet, sehen die Senkung der Steuersätze vor. So soll der derzeitige Spitzensteuersatz von 53 Prozent auf 39 Prozent reduziert werden. Zur Gegenfinanzierung sollen Steuerprivilegien allerdings nur halbherzig abgebaut werden. Rechnerisch bleibt so eine optimistisch geschätzte Lücke von 45 Milliarden Mark übrig. In der mittlerweile berühmten Fußnote der Petersberger Beschlüsse wird festgehalten, daß zumindest ein Drittel dieser Lücke durch die Anhebung des Normalsatzes der Mehrwertsteuer von 15 auf 16 Prozent abzubauen ist. Allerdings ist dieser Aufschlag bereits im April zur Stabilisierung der Rentenversicherungsbeiträge verfrühstückt worden. Niemand geht ernsthaft davon aus, daß durch die Steuerreform ein derart starkes Wirtschaftswachstum ausgelöst wird, das die Steuerquellen ausreichend sprudeln läßt. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer ist also fester Bestandteil der Politik der Regierung Kohl.

Seit Jahren fordert die Bundesregierung eine Anhebung indirekter Steuern. Dadurch sollen innerhalb der direkten Steuern die unternehmensbezogenen Belastungen reduziert werden. Mit dieser angebotsorientierten Steuerpolitik verabschiedet sich die Bundesregierung vom Prinzip der Leistungsfähigkeit („ability to pay“). Dazu gehört auch die Abschaffung der Vermögensteuer, die bei den Ländern die Einnahmen jährlich um über 10 Milliarden Mark schrumpfen läßt. Die anvisierte Anhebung des normalen Mehrwertsteuersatzes – auch mit Blick auf andere EU-Staaten – verstärkt den jahrelangen Trend, die gerechte Verteilung der Steuerlast auszuhöhlen. Nicht mehr die Leistungsfähigkeit steht im Vordergrund, sondern die Höhe der Konsumausgaben: Wer hohes Einkommen bezieht und deshalb auch Vermögen bilden kann, wird vergleichsweise gering besteuert.

Durch eine höhere Mehrwertsteuer sinkt aber die reale Kaufkraft der Masseneinkommen. Das ist für die Binnnenwirtschaft nicht förderlich. Schließlich sind regional bezogene Kleinunternehmen und das Handwerk die Verlierer. Denn die wachsende Mehrwertsteuer fördert deren Vermeidung durch Schwarzarbeit. Auch der Vorschlag aus Kreisen der CDU, statt einer Ökosteuer auf umweltbelastende Produkte einen speziellen Mehrwertsteuersatz anzuwenden, ist schlichter Unfug. Grundsätzlich würde nur der Endverbraucher die Last tragen. Anreize bei den Unternehmen, die Ökologie belastende Vorgänge zu reduzieren, kämen nicht zustande, denn die wälzen die Abgabe weiter. Rudolf Hickel