Obdachlos, aber mit Job

■ Mike organisiert in Bremen den Verkauf der einzigen überregionalen Obdachlosen-zeitung / „Ein bißchen stolz“ ist er, daß davon inzwischen sieben Menschen leben

Wenn Mike in der Sögestraße steht und seinen Verkaufssatz spricht vom „Looser/Straßenfeger – die einzige überregionale Obdachlosenzeitung!“, hört er auch immer wieder Gesprächsfetzen der Vorbeilaufenden. Dann macht er sich sein Bild. „Die haben keine Probleme, die machen sich welche“ denkt er sich dann und wiederholt sein Stakkato. Die Themen in der Fußgängerzone gleichen sich und haben wenig mit der Welt von Mike zu tun. Seit sechzehn Jahren ist er jetzt obdachlos. Die Hälfte seines Lebens.

Seit einem Jahr macht er in Obdachlosenzeitung. Bäcker, Schuhmacher, Tischler, Altbausanierer war er, „es gibt fast keinen Job, den ich noch nicht gemacht habe“. Jetzt also die Zeitung. Zuerst in Wolfsburg, wo er die regionale Postille „Clochard“ mitgründete. Vor einem halben Jahr kam er nach Bremen zurück. Er verkaufte den Looser/Straßenfeger, der erst ein paar Wochen vorher auch in die Hansestadt expandiert hatte. Vor einem Jahr schlossen sich der Odenwälder „Looser“ und der Berliner „Straßenfeger“ zusammen. Marktziel: Überregionalität. Auflage: 55.000. Im Januar 1999 wird der Zusammenschluß besiegelt, dann heißt die Zeitung „die straßenzeitung – stratz“.

Als vor sechs Monaten der einzige Verkäufer aus Bremen wegging, übernahm Mike die Organisation für den Verkauf in Norddeutschland. Gerade mal 1.000 Exemplare wurden am Anfang pro Ausgabe in Bremen verkauft. Inzwischen, und da ist er „auch ein bißchen stolz drauf“, werden er und die anderen VerkäuferInnen in der Region 5.000 Zeitungen im Monat los. Sieben Menschen können jetzt vom Looser/Straßenfeger in der Bremer Region leben, und keiner von ihnen, sagt Mike, will wieder betteln müssen. Handverkäufer für Bremerhaven und Delmenhorst hat er gefunden, auch in Oldenburgs Innenstadt wird die Zeitung sporadisch angeboten.

Das Projekt in Bremen wäre beinahe schon im Ansatz gescheitert. In der Obdachlosen-Unterkunft Papageienhaus, wo er eine Weile wohnte, wurde Mike von anderen Obdachlosen bedroht. Runde um Runde sollte geschmissen werden mit dem Verdienst der Zeitung. 1,10 Mark vom Verkaufspreis von 2,50 Mark behält Mike für sich. An seinem bisherigen Rekordtag verkaufte er 100 Zeitungen an einem Tag. Dann wieder, an schlechten Tagen, geht stundenlang kein Exemplar weg. Die Situation im Obdachlosenheim wurde anstrengend. Als er dem Zeitungsverlag ankündigte, wegen des Konflikts mit den Mitbewohnern müsse er die Brocken hinschmeißen, wurde ihm kurzfristig ein Wohnmobil organisiert. Darin wohnt er jetzt, irgendwo am Stadtrand.

Ohnehin sieht sich Mike eher als Außenseiter im Obdachlosenmilieu: Die Einstiegsstory hört sich zwar typisch an: Als er sechzehn war, warfen ihn seine Eltern aus dem Haus. Zuerst übernachtete er im Zelt. „Irgendwann war draußen zu wohnen normal“, sagt er. Länger als zwei Wochen hält er es inzwischen in Wohnungen einfach nicht mehr aus. „Ich werde dann total unruhig und verbal aggressiv“, sagt er. Aber dem Alkohol ist er nie verfallen. Auch eine funktionierende Beziehung zu einer nicht-obdachlosen Frau erhält Mike aufrecht. Mit dem Verkäufer-Job hat er jetzt sogar einen halbwegs geregelten Tagesablauf: Abrechnungen machen, Zeitungen austeilen, Nachmittags am Ansprechpunkt am Hauptbahnhof sein. Die Augen haben noch den Glanz des Lebenshungers.

Langsam merkt er, daß er älter wird und daß es vielleicht Zeit wäre für einen festen Job. Ob er die Kraft hat, sich mit dem Zeitungsprojekt einen eigenen Job zu schaffen? Ideen für Projekte hat er genug im Kopf. Sein Selbstwertgefühl hat einen enormen Schub bekommen, seitdem er die Zeitung verkauft. Das sei auch die Erfahrung der anderen VerkäuferInnen. „Beim Betteln muß man nach oben schauen. Jetzt bin ich mit den Menschen auf Augenhöhe, das macht schon viel aus.“ Spendenkonto Deutsche Bank, Blz 29070050, Konto Nr. 200479460 Stichwort „Obdachlosen-Zeitung“ Christoph Dowe