"Fischer ruft hier keine Angst hervor"

■ Bei früheren Besuchen in den USA hat der mögliche Außenminister Fischer einen guten Eindruck gemacht, meint Andrei Markovits. Das innovative Potential der neuen Koalition macht der amerikanische Poli

Markovits kommt in dieser Woche für ein Jahr als Fellow ans Berliner Wissenschaftskolleg.

taz: Sie haben kürzlich die These aufgestellt: „Grün schlägt Rot.“ Gilt das nach dem fulminanten Schröder-Sieg und dem mageren Ergebnis der Grünen immer noch?

Andrei S. Markovits: Natürlich nicht nach Prozenten. Aber die Grünen haben die Topoi der Politik entscheidend mitbestimmt und verändert. Das Wahlergebnis hat dies nicht widerlegt. Bei der Arbeitslosigkeit beispielsweise kann man allein mit den alten ökonomischen Mechanismen nichts bewegen. Da muß man Ideen mit einem grünen Impetus einbringen.

Was heißt das?

Ich fürchte, Schröders Bündnis für Arbeit ist nicht mehr als das alte korporativistische Modell, das Leute, die innerhalb des Spielfeldes Arbeitsgesellschaft stehen, noch sichert, aber diejenigen außerhalb des Spielfeldes weiterhin draußen hält. Deutschland braucht mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt und eine Ökosteuer. Aber an das Wort Flexibilisierung muß sich die SPD erst noch gewöhnen. Für die meisten Sozialdemokraten und auch Gewerkschafter klingt das Wort ja wie „Vatermörder“. Auch ohne die großen Leistungen des deutschen Sozialstaats anzutasten, kann man einiges machen. Davor scheut sich die SPD.

Zweitens muß die Globalisierung gezähmt werden, wir brauchen weltweit neue Spielregeln, um die die derzeit völlig freie Marktwirtschaft zu regulieren. So wie es seinerzeit das System von Bretton Woods mit seinen festen Wechselkursen gab. Der Internationale Währungsfonds müßte umgebaut werden.

Die Grünen, meinen Sie, könnten das in einer Koalition vorantreiben, so als eine Art Frischzellenkur für die SPD?

Meines Erachtens sitzt das innovative Potential bei den Grünen. Ich hielte es nicht für klug, würde Herr Schröder mit ihnen nur koalieren, um über die Mehrheit zu verfügen. Er muß sie als Partner verstehen und sollte sie nicht instrumentalisieren und demütigen.

Hat das grüne Innovationspotential etwas mit den alten linken Utopien zu tun?

Wenn man „utopisch“ denkt, kann man sofort zumachen. Nach Stalinismus und Nationalsozalismus darf man ohnehin nicht mehr von Utopien sprechen. Ich glaube trotzdem, daß eine rot-grüne Regierung mit ihrer täglichen Arbeit viel erreichen kann.

Zum Beispiel?

Der Deutsche Fußballbund ist einer der konservativsten Verbände der Welt. So wie der DFB Fußballdeutsche schaffen und dadurch Ausländer wunderbar integrieren kann, kann es auch der Rest der Bundesrepublik. Mit erleichterter Einbürgerung und doppelter Staatsangehörigkeit.

Was halten Sie von einem Außenminister Joschka Fischer?

In den USA würde er auf alle Fälle ernst genommen. Er war mehrfach in Washington und hat bei den Intellektuellen einen hervorragenden Eindruck hinterlassen; er ist sehr gescheit und hat als Autodidakt ein geradezu phänomenales Wissen. In Amerika weiß man, daß es ihm gelungen ist, seine Partei aus ihrer Anti-Nato-Position herauszuholen. Fischer würde generationsmäßig und politisch keine Angst vor den Deutschen hervorrufen. Gerade jetzt, wo in den kommenden vier, fünf Jahren die Weichen in Europa gestellt werden, fände ich einen Außenminister wie Fischer sehr wichtig. Die Europäisierung muß weitergehen. Es muß wirklich europäisch gedacht werden und nicht mehr so stark national.

In Deutschland tritt eine neue Politikergeneration an. Sehen Sie bei ihnen die Gefahr nationalen Denkens?

Das neue Deutschland wird der Demokratie Bonner Zuschnitts treu bleiben. Da bin ich zuversichtlich. Aber sein Umgang mit der Macht bleibt ungewiß. Die Loyalität gegenüber Europa scheint schwächer zu werden.

Die Forschungsgruppe Wahlen hat herausgefunden, daß eine Mehrzahl der Deutschen sich wünscht, ihre Regierung möge ihre Souveränität in so gut wie allen politischen Fragen behalten. Und eine Mehrheit lehnt es ab, Brüssel für Deutschland eine Regierungsautorität zu übertragen. Das läßt nur den Schluß zu, die Deutschen, einst die überschwenglichsten Europäer auf dem Kontinent, sind im Begriff, auf größere Distanz zur europäischen Vereinigung zu gehen.

Ein Außenminister Fischer könnte dies verhindern?

Fischer weiß, daß die Lösung des deutschen Dilemmas in der Vollendung der europäischen Integration liegt, im Zusammenschluß der beteiligten Nationalstaaten zu einer souveränen Europäischen Union. Die Präsenz Fischers und von Leuten seiner politischen Gesinnung stimmen mich optimistisch, was die zukünftige Rolle Deutschlands in Europa betrifft. Interview: Annette Rogalla

Markovits ist (mit Simon Reich) Autor des Buches „Das deutsche Dilemma – Macht und Machtverzicht in der Berliner Republik“, das jüngst im Alexander Fest Verlag erschien.