Einen schönen Gemeinplatz bauen

■ Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung sorgt sich um die Rechtschreibung und verlieh den Büchner-Preis an Elfriede Jelinek

Darmstadt bebte: Die Demokratie sei in Gefahr, das Gemeinwesen bedroht. So tönte es in Darmstadts Staatstheater, als die Feierlichkeiten zur Vergabe des Georg-Büchner-Preises an die österreichische Feministin und Ex- Kommunistin Elfriede Jelinek begannen. Es war Christian Meier, der Präsident der preisstiftenden Akademie für Sprache und Dichtung, der solches fürchtete. Doch ach, seine starken Worte hatten gar nichts mit der Dichterin zu tun. Er meinte die Rechtschreibreform, mit der sich die Akademie, der er vorsteht, noch immer nicht abgefunden hat.

Zur Zukunft der deutschen Sprache hatte man getagt, zwei Tage lang, und nun faßte Christian Meier diese Zukunft so zusammen: Es könnte sein, daß es sie nicht gibt, die Zukunft, für unsere deutsche Sprache. „Sie könnte verschwinden.“ Und alles wegen einer geistlosen, dummen Reform, erdacht von einer geistlosen Kommission, von willfährigen Ministern besinnungslos durchgeboxt. Da schluckte der anwesende hessische Kultusminister und Herr Naumann wunderte sich. Aber man solle nur „auf dem Lächerlichen beharren“, er, Meier, weiche nicht, obwohl er nur ein Mann mit Pfeil und Bogen sei in einer Panzerschlacht.

Dann kam er flink und souverän zu Walser: „Martin Walser ist Opfer einer Diffamierung geworden. Er verdient unsere Solidarität.“ Zack! Ohne Ignatz Bubis oder den Ausdruck „geistige Brandstiftung“ auch nur zu erwähnen, klärte er in zwei klaren Sätzen den Standpunkt der Akademie zu dieser Diskussion. Das hatte Stil.

Ebensoviel Stil hatte das völlige Schweigen Elfriede Jelineks zu jener Walser-Rede. Sie hätte sich ja sehr wohl davon angegriffen fühlen können. Das von Walser attackierte ständige Entdecken eines Alltagsfaschismus, der Alarmismus, der in jedem Kaffeehaus am Nachbartisch rechtsradikale Parolen zu hören glaubt, ist ja ein Vorwurf, der gerade ihr immer wieder gemacht wurde. Doch sie sagte zu all dem nichts. Wohl wissend, daß diese Feuilleton-Debatten doch immer wieder nur in den selben Parolen und Kategorien enden. Und sicher auch, weil Elfriede Jelinek ganz gern einfach mal wieder ihre Ruhe hätte. Ihrer „Sehnsucht nach Normalität“, wie sie das einmal nannte, entsprechend. Und vielleicht auch, um all diejenigen zu widerlegen, die ihr immer wieder vorwerfen, eine gut gehende, aber wenig ernst gemeinte Beschimpfungs- und Verzweiflungsindustrie zu unterhalten.

Jelinek hielt eine rätselhaft verrätselte, sprachverliebte, wortspielerische Rede, voll der berühmten Jelinek-Kalauer. Jenen Sprachwitzen, die das Wiederaufnahmeprinzip bis zum Exzeß durchspielen (So Sachen wie: „Er soll eingeliefert werden: Dann ist er aber geliefert.“ Oder: „Es sind Eingriffe darin inbegriffen.“), und zu denen Ivan Nagel in seiner Laudatio gesagt hatte: „Ihre Kalauer machen uns nicht froh.“

Ivan Nagel hatte aber auch noch anderes gesagt in seiner Lobrede: Er hatte von dem befremdeten Blick der Jelinek gesprochen, der niemals verständnisvoll sei und gegen jedes Verständnis geradezu anschreie. Von Mann und Frau sprach er, die sich in ihrem Werk „untrennbar fremd“ seien und von dem Haß, dem sie in Österreich ausgesetzt ist. „Warum der Haß?“ fragt Nagel, und er antwortet sich selbst mit einem Jelinek-Zitat: „Weil ich das Menschliche meide, wo ich kann, es ausrotte, wo ich es finde.“

Ebenso wie das Menschliche meidet Jelinek das „Ich“. Schreiben ist für sie auch das Von-Sich- Absehen, das Exemplarische. „Sie braucht die Rolle des Erzählers, um etwas zu sein“, so Nagel. Und erst wenn sie durch andere Dichter spreche, wie er es ihr bei den diesjährigen Salzburger Festspielen mit ihrem Literaturprogramm „Reise durch Jelineks Kopf“ ermöglicht habe, sei ihr Sprechen frei von verstellender Lüge. Durch den Dichter Robert Walser hatte sie da vor allem gesprochen.

Am Samstag mußte sie durch Georg Büchner sprechen. Die Statuten der Preisverleiher verlangen das. Bleich, stolz und aufrecht verlas sie monoton ihren Büchner- Beitrag. Es war eine Verneigung vor dem hessischen Revolutionär und Dichter: „Kaum einer, auch ich nicht, vermag etwas im Vergleich zu diesem Studenten“, meinte sie und feierte vor allem seine Macht, durch Sprache Wirklichkeit vorwegzunehmen und zu schaffen, nicht ohne auch auf die Gefahren, die solche Sprachmacht auch in ihren Büchern bedeutet, hinzuweisen: „Ich schreibe anderen vor, was sie zu denken haben.“ Und tut erschrocken: „Ich kritisiere mich hier vor all den Leuten.“ Schließlich „baut sie dem Dichter noch einen schönen Gemeinplatz, nämlich daß ein Genie früh stirbt.“ Und meint zum Schluß: „Und so ist die Revolution auch dahingegangen. Das wird eine schöne Leichenfeier geben.“

Doch nur Herrn Meier sah man noch mit Pfeil und Bogen durch die Theatergänge streifen. Volker Weidermann