Bremer Freiheit Lampenschirm

■ In Bremerhaven verlegt die Regisseurin Cornelia Crombholz Fassbinders Moritat von der Giftmischerin Geesche Gottfried in einer starken Inszenierung in die 1950er Jahre

Sie ist eine Frau, die Wünsche hat, die Ansprüche stellt. Sie ist eine Frau mit Eigensinn, die sich den von Männern geprägten Normen ihrer Zeit nicht fügen will. „Und ich? Ich will mit dir schlafen!“ sind ihre ersten Worte. Es sind unverschämt rebellische Worte einer Frau, die ihren Körper und ihren Geist nicht anderen zur Verfügung stellen, sondern lieber selbst über ihr Leben bestimmen will. Die „Bremer Freiheit“, Rainer Werner Fassbinders schaurige Moritat von der Bremer Giftmischerin Geesche Gottfried, auf der Bühne des kleinen Hauses im Bremerhavener Stadttheater: Das hätte ein greller und wohlfeiler Abgesang auf ein plakatives, schlicht gestricktes Emanzipationsspektakel der 60er/70er Jahre werden können. Aber die junge Regisseurin Cornelia Crombholz gibt dieser naheliegenden Möglichkeit, ein Stück als überlebte Klamotte zu denunzieren, nicht nach. Im Gegenteil.

Sie versetzt die Geschichte in die 50er Jahre dieses Jahrhunderts und zeigt damit, aus welchen Erfahrungen der 26jährige Fassbinder die Kraft, die Wut, die Empörung und die Kälte nimmt, mit der Geesche von Mord zu Mord geht. Der zugrundeliegende Fall der Giftmischerin aus dem 19. Jahrhundert, die als letzte Frau in Bremen hingerichtet wurde, ist ein extremes Modell für die Gefühlslage von Frauen, deren Lebenspläne immer wieder von einer männerdominierten Gesellschaft zerstört wurden.

Geesches Wohnung ist ein Gefängnis – mit wenigen Elementen von der Ausstatterin Heike Werner sorgfältig eingestimmt: Farben, Formen und Muster von Vorhang, Sesseln, Lampenschirm, aber auch Geesches Outfit und vom Rock zum Kostüm wechselnde Kleidung sind 50er Jahre pur. Der Muff der neuen Biedermeierlichkeit war in milde Eleganz verpackt, und er wurde mit rührigen Schlagern verbrämt, die hier die kurzen Szenen jeweils einleiten. Aber Geesche will nicht das schicke Püppchen sein. Sie will nach dem Tod ihres ersten Gatten, eines brutalen Schlägers, nie wieder das „Haustier“ eines Mannes werden, und auch ihre Karriere will sie in die eigenen Hände nehmen.

Als Fassbinder 1971 im Concordia, der Experimentierbühne des Bremer Theaters, seine „Bremer Freiheit“ selbst inszenierte, hatte er ein Melodram im Sinn. Der Untertitel „bürgerliches Trauerspiel“ war nicht nur als Provokation gedacht. Wilfried Minks baute ihm damals die Bühne als blutrot eingefaßtes, am Boden liegendes Kreuz. 30 Jahre später verzichtet Cornelia Crombholz auf jede große Geste. Sie setzt auf Tempo. Das Mordkarussell – an Vater, Mutter, Kinder, Freund und Freundin – dreht sich immer schneller. So wird aus dem Trauerspiel eine makabre Farce, die auf die bitterbösen Figuren eines Werner Schwab hinausweist.

Isabella Wolf verkörpert die Bremerhavener Geesche eckig, kantig, verschlossen. Auch sie denunziert ihre Figur niemals. Unter den herben Zügen werden die Kraft, Hoffnungslosigkeit und vor allem die unerfüllbare Liebessehnsucht dieser Frau sichtbar. Gottfried (Dietmar Horcicka), der einzige Mann, den sie wirklich liebt, kann ihre Stärke nicht ertragen. Ehe er sie verlassen kann, hat sie ihm schon das Gift gereicht. Und dann kniet sie mit erhobenem Rock auf dem Tisch über dem Sterbenden, legt ihm den Ehering an und küßt seine nackte Brust. Mit wenigen einfachen Bildern macht die Regisseurin den großen Schmerz dieser Liebeskranken spürbar. Die Nebenrollen teilt sie unter vier Akteuren auf und betont damit das holzschnittartig Typisierende noch stärker. Christel Leuner als gottesfürchtige Mutter und als neugierig-naive Freundin, Guido Fuchs als dreifacher Macho-Mann, Stephan Clemens als geistig unbeweglicher Freund und Vetter sowie Dietmar Horcicka als ängstlicher Geliebter: Ihr zurückhaltendes, schnelles Spiel lebt von knappen Andeutungen. Nur Isabella Wolf darf in kurzen Momenten auf ihrem Gesicht zeigen, was in ihr vorgeht. Und so wird sichtbar, was heute von der „Bremer Freiheit“ bleibt: Der Schmerz, daß es mit der Freiheit noch lange nicht so weit ist, wie es sich Frauen vor 30 Jahren entworfen haben. Eine starke Inszenierung. Hans Happel

Nächste Vorstellung: 30. Oktober um 20 Uhr im Stadttheater Bremerhaven