Marktschreierisch

■ Kanzler Schröder und Lafontaine attackieren die Bundesbank

Bislang konnten die Finanzexperten von SPD und Bündnis 90/Die Grünen nur vermuten, welche Krater sich in Waigels Staatshaushalt offenbaren, wenn sie das Finanzministerium erst einmal durchforstet haben würden. Aber es war absehbar, daß die Bücher des Ex-Finanzministers nur einen Teil der Misere verzeichnen. Wie hoch der Staat tatsächlich verschuldet ist und welche Schattenhaushalte Waigel aufgebaut hatte, wird nun langsam klar. Fünf Milliarden Mark muß der Staat im nächsten Jahr mehr aufnehmen, als von Theo Waigel veranschlagt.

Finanzminister Oskar Lafontaine ist nicht zu beneiden. Ihm bleibt nicht viel mehr als die Verwaltung des Mangels. Die alte Regierung ist daran gescheitert. Und es ist völlig legitim, daß er nun seine finanz- und wirtschaftspolitischen Vorstellungen endlich umsetzen will. Aber warum so laut? Lafontaine und Kanzler Schröder, der seinem Finanzminister am Wochenende zur Seite sprang, wissen, daß die Bundesbanker bei Attacken gegen ihre Institution auf stur schalten. Sie werden die Zinsen erst dann senken, wenn es ihnen geldpolitisch geboten scheint. Lafontaines marktschreierisches Gehabe wird nur kurzfristig von den strukturellen Problemen im Land ablenken, die gescheiterte große Steuerreform nur notdürftig übertünchen und gar nichts zu der ungelösten Frage beitragen, wie neue Arbeitsplätze geschaffen werden können.

Natürlich geht es auch um Macht. Dagegen ist nichts einzuwenden, schließlich ist sie das Wesen von Politik. Aber in erster Linie geht es Lafontaine darum, seine Nachfragetheorien zu etablieren. Je länger und vehementer Thesen verbreitet werden, desto wahrer erscheinen sie – völlig unabhängig von ihrer Plausibilität oder Richtigkeit. Indem Lafontaine und seine Staatssekretäre ihre Forderungen an Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer gebetsmühlenartig wiederholen, setzen sie ihn unter Rechtfertigungsdruck. Und wenn Tietmeyer nichts ändert – wovon auszugehen ist –, kann Lafontaine nach Vollzug der Europäischen Währungsunion am 1. Januar weiter darauf herumreiten, weil niemand den Erfolg einer Zinssenkung in Deutschland be- oder widerlegen kann. Lafontaine kann damit Tietmeyer diskreditieren, der nächstes Jahr in Pension geht. Lafontaine bereitet so den Weg für einen seiner Anhänger, der seine Theorien in der Europäischen Zentralbank vertritt. Ulrike Fokken