Ungarisches Gericht schränkt Abtreibungsrecht ein

■ Verfassungsgericht erklärt die bisherige Abtreibungspraxis für illegal. Künftig reicht eine formale Erklärung nicht mehr aus, daß sich die Schwangere in einer schweren Notlage befindet

Bukarest (taz) – Ungarische Frauen sollen in Zukunft nur noch unter streng eingeschränkten Bedingungen abtreiben dürfen. Das entschied Ende vergangener Woche das ungarische Verfassungsgericht. In dem Urteil erklärten die Richter die gegenwärtige Abtreibungspraxis als verfassungswidrig. Sie ermöglicht Frauen den Schwangerschaftsabbruch, wenn sie schriftlich bescheinigen, daß sie sich in einer „schweren und kritischen Lage“ befinden. Das Verfassungsgericht verpflichtete das Parlament, bis Ende Juni 2000 eine neue Gesetzesregelung auszuarbeiten. Politiker der national-konservativen Koalitionsregierung und Abtreibungsgegner begrüßten die Entscheidung des Gerichts und wollen eine schnelle Neuregelung finden, um die Zahl der Abtreibungen zu senken.

Laut der seit 1992 gültigen Abtreibungsregelung erhalten Frauen dazu eine Genehmigung, nachdem sie vor einem Beratungsgremium formal dargelegt haben, warum sie sich in einer „schweren, kritischen Lage“ befinden. Eine solche Lage tritt laut Gesetz für betroffene Frauen dann ein, wenn physische oder psychische Probleme oder soziale Umstände die Entwicklung des Fötus gefährden. Die Verfassungsrichter sahen es als mit dem Grundgesetz unvereinbar an, daß eine Frau lediglich mit ihrer Unterschrift bescheinige, sie befinde sich in einer „schweren und kritischen Lage“. Auch die Definition dieses Begriffes erklärten die Richter als verfassungswidrig, weil sie die Situation der Mutter mit der Entwicklung des Fötus in Zusammenhang bringe. Demgegenüber müßten die Interessen der Mutter gesondert von denen des Fötus behandelt werden.

Abtreibungsgegner, darunter Vertreter der ungarischen katholischen Kirche, begrüßten das Urteil des Verfassungsgerichts und machten die im Mai abgewählte sozialistisch-liberale Regierung dafür verantwortlich, daß in den letzten Jahren Hunderttausende von Abtreibungen stattgefunden hätten. Auch der ungarische Sozial- und Familienminister Peter Harrach äußerte sich zufrieden über das Urteil. Abtreibung sei an sich etwas Schlechtes, so Harrach. Die Regierung werde sich bemühen, die Zahl der Abtreibungen auf administrativem Wege zu verringern, und aufgrund des Verfassungsgerichtsurteils eine entsprechende Regelung ausarbeiten. Die größte Regierungspartei „Bund junger Demokraten – Ungarische Bürgerpartei“ (Fidesz-MPP) hat bereits letzte Woche einen Gesetzesvorschlag ausgearbeitet, der Frauen verpflichtet, einen höheren Anteil der Abtreibungskosten zu übernehmen. Die so eingesparten staatlichen Mittel sollen in Zukunft zur Zahlung von Kindergeld verwendet werden.

In Ungarn hatten Abtreibungsgegner und Vertreter der katholischen Kirche mehrfach Verfassungsklagen gegen die jeweils geltende Regelung erhoben. In der Folge wurde das Abtreibungsrecht seit 1989 schrittweise verschärft. Auch in konkreten Fällen sorgten ungarische Abtreibungsgegner immer wieder für Schalgzeilen. So erreichten sie in diesem Frühjahr, daß ein ungarisches Gericht einem 13jährigen ungewollt schwangeren Mädchen die Abtreibung verbot, was erst auf Eingreifen der damaligen Regierung aufgehoben wurde. Keno Verseck