„Ich bin eben manchmal ein bißchen stur“

Christa Müller hat Karriere gemacht, bis sie Oskar traf. Seither soll sich die Ökonomin vornehm zurückhalten. Auch wenn sie derzeit im sicheren Nest ihren Sohn umsorgt: An Frauen wie sie werden sich die politischen Sittenwächter gewöhnen müssen  ■ Aus Saarbrücken Constanze von Bullion

Der Hausherr läßt kein Detail aus den Augen. Er wippt von einem Bein aufs andere und beobachtet neugierig, wer die steilen Stufen zu seinem elektronisch gesicherten Nest hinaufsteigt. Die eine Videokamera im Nacken, die andere im Gesicht, dazu Scheinwerferlicht, ein meterhohes Gitter und zwei Türen aus Panzerglas, die schwer ins Schloß rutschen: Wer Carl-Maurice Lafontaine besucht, meint einen Adlerhorst zu erklettern. Dabei gleicht das Einfamilienhaus, das der Zweijährige mit Christa Müller teilt, weniger der Fluchtburg scheuer Vögel als eher einem raffinierten Käfig.

Einsperren lassen hat sich Christa Müller (42) hoch über Saarbrücken. In einem fliederfarben angestrichenen Gehäuse, das nach außen abschottet, um innendrin höchst Unspektakuläres zu verwahren. Eine ganz normale alleinerziehende Mutter lebt hier. Besser gesagt: würde hier leben, wenn da nicht das Phantom „Oskar“ wäre. Ihm verdankt Christa Müller ein Leben unter permanenter Beobachtung. „Ihn“ meinen die meisten, wenn sie von „ihr“ sprechen. Jeden Tag taucht er im Fernsehen auf, aber in der Haustür nur noch, „sooft er kann“. Also manchmal. Und heute nicht.

Carl-Maurice immerhin hat nicht aufgegeben. „Papa“, gurgelt er munter, als Mama auf einen Comic mit Oskar Lafontaine zeigt. Auch Exkanzler „Tohl“ und seinen Spießgesellen „Baigel“ kann er unterscheiden. Ganz Sohn seiner erfolgreichen Eltern scheint die zappelige Oskarkopie zu sein, die hier drinnen den Rhythmus diktiert. Und sich klaglos vom Kindermädchen abführen läßt, wenn Christa Müller ihren Aufgaben nachgeht.

Fragt sich nur, was die Aufgaben dieser heimlichen First Lady sein sollen. Eine Flut von Verwünschungen ist über die Volkswirtin hereingebrochen, seit sie es wagte, im Fernsehen die Politik der Bundesbank zu kritisieren. Empörendes über den „Machtfaktor Christa“ förderte sogleich das Boulevardblatt B.Z. zutage: „Als erstes stellte sie den Fernseher in den Keller. Dann schickte sie ihn zum Zahnarzt, ließ ihm Jacketkronen verpassen.“ Abends, so fanden die Reporter heraus, „gibt sie ihm Nachhilfe in Wirtschaft“. Das war die erste Welle.

Die zweite überschlug sich vor Wohlwollen. Für „schutzbedürftig“ befand sie die Woche, für „klug“ die Süddeutsche, „politisches Temperament“ hat ihr die Zeit bescheinigt. Christa Müller scheint sich nur bedingt über all den Lorbeer zu freuen. Daß ihr Intelligenz attestiert wird, „obwohl“ sie blond ist, daß man ihr Talent zuschreibt, obwohl sie „nur“ eine Frau ist, faßt eine von ihrem Format nicht unbedingt als Kompliment auf. Denn selbst schmeichelhafte Porträts ändern nichts daran, daß ihr Spielraum enger geworden ist mit dem Regierungswechsel. Erstmal „ruhig abwarten, was sich so tut“, beschreibt sie diplomatisch das Schweigen, zu dem man sie verdonnert hat.

Von Rückzug will Schnelldenkerin Müller trotzdem nichts hören. Sie sei eben „ein bißchen stur“, erklärt sie leichthin und serviert Kaffee mit Pralinen am meterlangen Eßtisch. Wie im Museum der Arbeiterbewegung sieht es hier aus: Geschnitzte Kohlekumpel schwitzen im Regal, auf der Kommode reckt sich die eherne Arbeiterfaust, in Öl auf Leinwand marschiert das Proletariat. Ein bißchen anachronistisch irgendwie der ganze sozialistische Krempel, der sich um ein Foto gruppiert, das „er“ geschossen hat: ein verschneites Kruzifix mit dem Gekreuzigten im Profil.

Gottesfürchtig? Ausgerechnet die linke Ökonomin? Sie lacht ziemlich frech und sagt „na ja“. Das mit der „Nächstenliebe“ habe sie „immer sehr ernst genommen“, jeden Sonntag schickten die Eltern sie in die Kirche, prompt wollte sie „Krankenschwester werden“. Was dazwischenkam, war wohl ihr Dickschädel. In der Schule war sie „faul und absolut nicht motiviert“. Eine rebellische Hippiebraut wollte sie nicht sein, aber auch keine Lehre antreten. Ihrer Mutter – auf die sie ansonsten nichts kommen läßt – habe letzteres zeitweilig wenig gefallen, denn daß zugepackt, mitgeholfen, Geld verdient wurde, war in der Familie „immer klar“.

Von Bauern zu Metzgern zu Hotelbesitzern haben die Müllers sich hochgerackert. Tochter Christa wollte weiter. „Ich glaube schon, daß ich mathematisch begabt bin“, sagt sie, „beim Wort Wirtschaft klingeln bei mir alle Glocken, das liegt in den Genen.“ Sie hat ihr Studium durchgesetzt, hat eine Doktorarbeit über Arbeitsmarktpolitik angefangen, bei den Jusos über „Umverteilung nach unten“ diskutiert. Mit Solidarität fürs eigene Milieu dürfte ihre Leidenschaft für Volkes Wohl allerdings immer weniger zu tun gehabt haben. Eher schon steckt die idealistische Geste einer Akademikerin dahinter, die sich für die Kleinen einsetzt, weil sie längst auf der Seite der Großen steht.

Als „Champagnersozialisten“ bespötteln britische Proletarier behütete Bürgerstöchter, die sich dem Klassenkampf verschreiben. In Deutschland zählt man die Marke Müller & Lafontaine zur „Toskanafraktion“. Stilsicher und gebildet, dem guten Tropfen und besseren Leben zugeneigt, predigen sie unbeirrt, was an den Stammtischen keiner mehr glauben mag: daß es Jobs, Wohlstand, Kaviar für alle geben könnte. Wegen des Kaviars im eigenen Kühlschrank will sich „Müllary“ bis dahin kein schlechtes Gewissen einreden lassen: „Wenn man Leistung zeigt und das Glück hat, viel Geld zu verdienen“, meint sie selbstbewußt, „kommt es doch nur darauf an, ob man etwas davon abgibt.“

Gegen hohe Steuern für Besserverdienende, also auch für sie selbst, hat sie „nichts einzuwenden“. Kritik bringen ihr solche Ideen ein, nicht nur bei Unternehmern, auch bei den Grünen. Die wollen die Spitzensteuersätze deutlich absenken, damit mehr investiert wird. Vom angelsächsischen Modell, das Kapital von Vermögenden und Unternehmen freigibt, damit es nach unten durchsickert und Arbeitsplätze schafft, hält Christa Müller indes wenig. Auch Begriffe wie „Deregulierung“, „Mobilität“ und „Flexibilisierung“ will sie nicht uneingeschränkt als Synonym des Fortschritts akzeptieren. Kritiker haben ihr Buch, das sie kürzlich mit ihrem Mann geschrieben hat, prompt in die traditionalistische Ecke gestellt.

Eine Ewiggestrige also, die höhere Löhne und staatliche Rundumversorgung fordert wie die Kohlekumpel im Regal? „Was heißt denn Modernisierung?“ fragt sie ein bißchen gereizt – und gibt selbst die Antwort. „Jüngeren mag es ja Spaß machen, immer neue Jobs zu haben und unregelmäßige Arbeitszeiten, aber bei Leuten mit Familie kann man das nicht erzwingen.“ Wie dann neue Jobs schaffen? Gerade für wenig Qualifizierte müßten neue Strukturen her. „Was glauben Sie“, sagt sie, „wieviel Arbeit es in privaten Haushalten gibt. Die würden auch Frauen ohne höheres Einkommen gern abgeben, wenn es nur bezahlbar wäre.“

Wer dieser schmalen Person so zuschaut, wie sie mit den Händen durch die Luft fegt und heftig den Kopf schüttelt, wundert sich nicht, daß das Stillhalten im Gehäuse schwerfällt. Gestalten, verändern, zupacken will sie, statt dem Herrn Finanzminister zuzuschauen. „Ich passe einfach nicht in das Frau-an- seiner-Seite-Klischee“, sagt Christa Müller und zuckt die Schultern, als könne sie nichts dafür, daß sie sich hartnäckig zu Wort meldet. Mit „Lady Macbeth“, der bösen Einflüsterin ihres Ehemannes, hat der britische Economist sie letzte Woche verglichen. Christa Müller zeigt das bestenfalls, daß „die Gesellschaft in Sachen Gleichberechtigung großen Nachholbedarf hat“. Wieso, fragt sie, darf die Frau eines Managers längst selber denken und reden, während die eines Politikers nur Anhängsel bleiben soll?

Vielleicht darf man einen Oskar ganz einfach nicht heiraten. Vielleicht hätte die junge Frau mit den zwei Diplomen, die direkt von der Uni in die EU-Kommission stolperte, die wenig später in der hessischen Staatskanzlei und im SPD- Vorstand an Wirtschaftsthesen feilte, einfach wegschauen müssen, als der kleine Herr mit der langen Nase ihr schöne Augen machte. Glaubt man Christa Müller, dann hat die Beziehung zum saarländischen Ministerpäsidenten sie die Karriere gekostet. Aus einer kompetenten Frau Müller wurde in den Augen der Öffentlichkeit eine protegierte Frau Lafontaine, die zu fördern keiner mehr Lust hatte. „Bis ich meinen Mann kennenlernte, bekam ich viele berufliche Angebote“, sagt sie, „seither ist meine Karriere tot.“

Und die Moral von der Geschicht? Haustauben schießt man nicht. Frauen, die in der Politik vorankommen wollen, sollten sich nie mit einem Mann ihrer Zunft einlassen, gibt Christa Müller nicht ohne Bitterkeit zu Protokoll. Zu sehen, wie andere an ihr vorbeibefördert wurden, habe ihr „schon viel ausgemacht“. Fünf Jahre, räumt sie ein, „tat ich mir leid“. Dann kam Carl- Maurice und der berufliche Rückzug einer Frau, die ihren Sohn selbst erziehen will. Bis er drei ist, wird sie sich als wissenschaftliche Heimarbeiterin der Friedrich- Ebert-Stiftung bescheiden. „Gleichwohl“, schiebt sie nach, „hätte es mich interessiert, in einem Bundesministerium zu arbeiten. Aber dann würde wieder die Öffentlichkeit über uns herfallen.“

Immer wieder Käfigstangen. Und immer wieder dieser trotzige Vogel, der nach draußen pickt. Beruflich ausgeschlossen sei gar nichts, behauptet Christa Müller, irgendwann würde sie sich „schon ganz gern verändern“. Bis dahin allerdings heißt es leisetreten. Daß die Frauen im Kabinett ihres Mannes nicht sonderlich weit gekommen sind, nennt Christa Müller – ungewöhlich zahm – ein „Zusammentreffen unglücklicher Umstände“. Die Steuerreform sei „in Ordnung“, die Medienschelte über den Regierungsantritt findet sie „unfair“. Sie muß ihn wirklich mögen, ihren Oskar, dem sie so wacker den Rücken stärkt.

Aber vielleicht ist es ja gar nicht so schlecht, das abgeschirmte Leben hier drinnen. Das findet zumindest der Herr des Hauses, der plötzlich zur Tür hereinmarschiert. Vergnügt klettert Carl-Maurice auf den Schoß seiner Mutter, zerquetscht ein paar Pralinen und schaltet das Aufnahmegerät ab. Schluß mit dem Gequassel, die Spielstunde bricht an. Bis die vorbei ist, wird es draußen dunkel. Und innendrin im Gehäuse ziemlich still – bis auf das leise Picken.