Der Glanz des ganz Normalen

■ Nehmt jetzt dies: Mit 24 Jahren hat Robbie Williams schon bemerkenswerte Erlebnisfalten und treibt endgültig seine Teeniestar-Vergangenheit aus. In England liebt man ihn dafür

Die Dekonstruktion geht weiter. Schon während seiner letzten Monate bei Take That übererfüllte Robbie seine Rolle des drolligen Rabauken, knutschte mit Liam Gallagher und ließ bei Ray Cokes die Hosen runter, bis Take-That- Manager Nigel Martin-Smith schließlich Tendenzen ungebührlicher Verrohung witterte und seine Teen-Dream-Kreation in den freien Markt entließ. Dort nahm er sich George Michaels „Freedom“ zur Brust, trank gern ein Gläschen mehr und entwickelte eine ungesunde Vorliebe für die Freuden illegaler Drogen. Entgrenzt torkelte Robbie durch die Klatschspalten, ließ Frühsport Frühsport sein und lag bis mittags im Bett.

Weil Robbie dramatisch aus den Fugen ging und überhaupt ein jämmerliches Bild abgab, faßte sich die britische Presse ein Herz und bezeichnete ihn als dummes, arrogantes, schmutziges, versoffenes, fettes, faules Schwein. Der Adressat nahm das zur Kenntnis, klemmte sich einen Hometrainer unter den Arm und begab sich in Klausur. Entschlackt und aufgeräumt kehrte er zurück. Er hatte sein erstes Soloalbum dabei, doch keiner wollte es kaufen. Zwei Singles später kam dann „Angels“.

Das ewige Auf und Ab seiner Karriere hatte dem 24jährigen mittlerweile Gramfurchen und Erlebnisfalten eingebügelt, wie sie unter Männern seines Alters mindestens unüblich, im Gesicht eines ehemaligen Teeniestars allerdings bemerkenswert sind. In der Tat ist Robbie Williams längst kein hübscher Junge mehr, eher Thekenschlampe und Nachteule. Im „Millennium“-Video schmiert er als Aushilfs-Bond durchs Bild, sein neues Album „I've Been Expecting You“ beginnt er mit den Zeilen: „My breath smells of a thousand fags / And when I'm drunk I dance like me dad / I started to dress a bit like him“. Sämtliche Illusionen, die man sich in der Vergangenheit über ihn gemacht hat, dürften damit hinfällig sein. Das Album treibt die Vergangenheit endgültig aus, es ist sein unmißverständlicher Bruch mit dem komplexen Teen- Star-Modell, zugunsten eines Hier- stehe-ich-und-kann-nicht-Anders.

In England liebt man ihn dafür. „I've Been Expecting You“ ist von null auf eins in die Charts eingestiegen, The Face hat ihn zum Mann des Jahres, MTV Europe zum Künstler des Jahres gekürt. Und das ist insofern seltsam, als an Robbie nichts ist, was verführerisch, anders und besonders wäre. Er ist vielmehr von einer wenig wünschenswerten Durchschnittsnormalität, einer mit Schweißfüßen, Tropfnase und Mundgeruch. Er ist, wie du und ich nicht sein möchten. Er ist wie er und sie.

Und wie bei ihm und ihr ist Robbies Geschmack weder originell noch elaboriert. Tatsächlich orientiert er sich konsequent an Radiomusik, den Hits der 70er und 80er, an Elton John, Brian Ferry, John Barry sowie ELO, den späten Who, Simon & Garfunkel und den Beatles. Als Zugeständnis an die Gegenwart wird in „Millennium“ und „Jesus in A Camper Van“ zwar ein HipHop-Beat druntergebuttert, doch den sollte man nicht überbewerten. „I've Been Expecting You“ ist Überzeugungstäter- Mainstream mit Herz, und weil ihm das Herz oft überläuft, quietschen die Gitarren pathetisch, jammern die Streicher und überschlägt sich seine Stimme an Stellen, an denen sich Derartiges von selbst verbietet. Doch da Robbie nicht weiß, was sich verbietet, meistert er selbst Kitsch mit Würde.

Bands wie Pulp, Stereolab, High Llamas, Blur oder Prefab Sprout begingen ihre Geschmacksverbrechen stets derart augenzwinkernd, daß sie immer auf der sicheren Seite waren. Ihr „Eigentlich“, ihre Metaebene konnte man gewissermaßen mithören. Robbie gewinnt nun dadurch, daß er keine Ironieebene vorsieht und die Welt mit hochauthentischem Middle-of- the-road-Kitsch überrumpelt. Mit einer Teeniestar-Vergangenheit macht das sogar Sinn. Da steckt in seiner Normalität sogar etwas Glanz. Harald Peters

Robbie Williams: „I've Been Expecting You“ (EMI).

2.12. Düsseldorf, 6.12. Hamburg