„Tagsüber wird es ja wärmer“

Auf der Veddel warten osteuropäische Fernfahrer auf Aufträge. Wer noch Treibstoff und ein Handy hat, ist privilegiert  ■ Von Eberhard Spohd

Vassilij Vladimirovitsch hat kein Problem damit, in seinem Wagen zu übernachten – schließlich ist es warm in Deutschland. „In Moskau haben wir zur Zeit minus 25 Grad“, lacht er, „und der Schnee reicht einem bis an die Knie.“ In den vergangenen Jahren sei er meist nach Sibirien gefahren, „Omsk und Nowosibirsk hauptsächlich“. Dreitausend Kilometer sei er da für eine Strecke unterwegs gewesen. „Und der Schnee geht dir bis hier“, sagt er und legt eine Hand auf seinen Scheitel. Dagegen sei es in Deutschland wirklich schön. Einzig der Regen mache ihm zu schaffen.

Trotzdem wird der Russe nicht mehr lange am Rand der Hamburger Peutestraße stehen: Am Donnerstag kam Vassilij Vladimirovitsch mit einer Ladung Süßigkeiten in der Hansestadt an. Die Ware hat er abgeladen, und heute schon wird er weiterfahren nach Holland, um seinen Volvo-Truck neu zu bepacken.

Nicht alle Fahrer aus Litauen, Weißrußland, der Ukraine oder Rußland, die derzeit mit ihren leeren LKWs auf der Veddel parken, bekommen so schnell einen neuen Speditionsauftrag. Sie stehen seit Tagen an derselben Stelle, und immer kommen neue dazu. „Sie haben in erster Linie ein logistisches Problem“, erläutert Armin Huttenlocher vom Verein „Round Table Hamburg Sachsenwald“, der sich seit Wochen um die Fahrer kümmert. „Die meisten haben kein Funktelefon oder Fax zur Verfügung.“ Ohne Verbindung in ihre Heimatländer bekommen sie keine Aufträge, und ohne die ist die Rückfahrt unbezahlbar. Der Club unterstützt die arbeitslosen Fahrer daher materiell – unter anderem mit Telefonkarten.

Das nützte anfangs jedoch wenig. Die umliegenden Fernsprechhäuschen hatte die Telekom verriegelt, berichtet Huttenlocher. Zu häufig war von der Elbinsel aus mit gefälschten Karten telefoniert worden. Inzwischen wurden die Fernsprecher zwar wieder freigegeben, und „um die Ecke gibt es ein Kontor, das uns erlaubt, Faxe zu empfangen“, weiß Vassilij.

Dennoch sind jene Fahrer, die ein Handy besitzen, privilegiert. Sie können Aufträge schneller entgegennehmen als die anderen. Auch Vassilij will sich deshalb ein Mobiltelefon anschaffen. In Zukunft wird er häufiger nach Mittel- und Westeuropa fahren. Seit der Wirtschaftskrise in Asien sind in den ehemaligen Ländern der Sowjetunion die Preise derart verfallen, daß es sich nicht mehr lohnt, dorthin zu liefern. „Es ist alles eine Frage des Geldes.“

Auch für Ritschardas Tschiudschelis. Er transportiert Holz für einen kleinen Speditionsbetrieb. Um die Fahrt nach Hamburg lukrativ zu machen, muß er auch auf dem Rückweg wieder Ladung aufnehmen. Das gilt für die meisten Fahrer: Viele sind Subunternehmer großer Transportfirmen und darauf angewiesen, nicht unbeladen zurückzufahren.

Ritschardas Tschiudschelis steht seit Mittwoch auf der Veddel und wird wohl das ganze Wochenende dort verbringen. „Heute ist Freitag. Da kommt bestimmt kein Auftrag mehr bei mir an“ – und das, obwohl sein Truck mit einem Handy ausgestattet ist. Aber, tröstet sich der Litauer, „so kann ich wenigstens jeden Tag mit meiner Familie telefonieren“.

In seiner Kabine ist es zudem mollig warm. „Ich habe noch genug Diesel für die nächsten Tage im Tank“, berichtet er. Wer aber länger als eine Woche auf neue Kundschaft wartet, bekommt Schwierigkeiten. Denn nach dieser Zeit ist der Treibstoff aufgebraucht; die Standheizung im Wagen funktioniert nicht mehr.

„Bei mir ist sie seit zwei Tagen aus“, bestätigt Ivan Jefimowitsch aus Kiew. Neuen Treibstoff kann er sich nicht leisten: „Das kostet doch Geld!“ Erst ein neuer Speditionsvertrag wird die nötigen Devisen bringen, mit denen er den Sprit für die Heimfahrt in die Ukraine kaufen kann. Bis dahin legt Ivan Jefimowitsch sich nachts zu einem Kollegen in die Koje. „Und tagsüber“, meint er im Hinblick auf die arktischen Temperaturen in seiner Heimat, „wird es ja wieder wärmer.“

Der Round Table will nun einen Container in das Industriegebiet stellen, in dem sich die Männer aufwärmen können. „Es hat zwar ein wenig gedauert, bis die ersten Schritte getan wurden“, erzählt Huttenlocher von den Gesprächen mit der Wirtschaftsbehörde, die auch für den Hafenbau zuständig ist. Nach einer Ortsbesichtigung sei das Amt aber zu unbürokratischer Hilfe bereit gewesen. Die Hamburgischen Electricitätswerke wollen für die Heizung verbilligten Strom zur Verfügung stellen.

Viele Fernfahrer werden den Container jedoch nur im Notfall nutzen. Nein, er brauche noch nichts, sagt Ritschardas Tschiudschelis. Er habe genug Spesen dabei, um etwas zu essen zu kaufen. „Gestern abend ist das Rote Kreuz hier durchgefahren, um warme Suppe zu verteilen“, erzählt der Litauer. Davon habe er aber nichts genommen. Er weist auf seinen Gaskocher. „Solange ich mich noch selbst versorgen kann, brauche ich keine Hilfe.“ Wenn er aber noch längere Zeit warten müsse, sei er froh, ein wenig Unterstützung zu erhalten.

Im Prinzip, sagt Vassilij Vladimirovitsch, seien die Fahrer alle gut organisiert und kämen meistens alleine klar. Auf die Frage, ob sein Leben nicht ziemlich anstrengend sei, wird er dennoch nachdenklich. „Ja, unser Job ist wirklich hart. Aber damit verdienen wir unser Geld“, sagt er – und macht sich auf den Weg, um das Fax mit seiner Auftragsbestätigung abzuholen.