Korrupte EU-Kommissare: Parlament muckt auf

■ Erstmals verweigert das Europaparlament der EU-Kommission die Haushaltsentlastung

Brüssel (taz) – Das Europaparlament hat seinen Kontrollauftrag überraschend ernst genommen und der EU-Kommission wegen diverser Korruptionsfälle die Entlastung für das Haushaltsjahr 1996 verweigert. Juristisch hat das keine Konsequenzen, doch die politische Ohrfeige ist für einige EU-Kommissare verheerend. CDU- und CSU-Abgeordnete fordern nun den Rücktritt der für den Vertrauensverlust verantwortlichen Kommissare. Die Grünen drücken sich deutlicher aus und verlangen ein Amtsenthebungsverfahren gegen die sozialistische französische Kommissarin Edith Cresson.

Madame Cresson, früher einmal Premierministerin in Paris, ist für viele Abgeordnete zur Symbolfigur für Vetternwirtschaft und Mißmanagement geworden, der nur noch der spanische Kommissar Manuel Marin das Wasser reichen kann. Beiden wird vorgeworfen, daß sie Posten und Aufträge der EU-Kommission Freunden und Bekannten zugeschanzt haben. Deren Qualifikation, hatte der Europäische Rechnungshof moniert, sie weder nachgewiesen noch erkennbar. Mehrere Millionen Mark seien so versickert.

Das Europaparlament hat aber keine Möglichkeit, einzelne Kommissare in die Wüste zu schicken. Sie kann nur die gesamte Kommission stürzen, wofür es aber offensichtlich weder den Willen noch die nötige Zweidrittelmehrheit gibt. Auch das von den Grünen geforderte Amtsenthebungsverfahren hat wenig Aussicht auf Erfolg, weil dafür alle 15 EU-Regierungen zustimmen müßten. Frankreich und Spanien werden nicht die eigenen Kommissare bloßstellen.

EU-Kommissionspräsident Jacques Santer steht trotzdem vor einem Scherbenhaufen. Mit der Nichtentlastung hat das Parlament seine halbherzigen Versuche, in seinem Laden Ordnung zu schaffen, mit der Note „ungenügend“ zurückgewiesen. Die Abgeordneten kritisierten, daß Santer die betroffenen Beamten nicht zur Rechenschaft gezogen hat, daß er die internen Betrugsfahnder nicht frei arbeiten lassen will und daß Kommissare nach wie vor politische Mitarbeiter unter Umgehung der Aufnahmetests in die EU-Verwaltung einschleusen läßt. Denn die meisten Betrugsfälle sind im Umfeld solcher „Fallschirmspringer“ passiert.

Santers größter Fehler aber war, wie er die Abgeordneten vor den Folgen der Nichtentlastung gewarnt hat. Das Parlament müsse dann auch den Mut zum Mißtrauensvotum haben, der jedoch ins Chaos führen würde. „Wir lassen uns nicht erpressen“, schimpften daraufhin selbst Sozialdemokraten, die ursprünglich für Entlastung waren.

Die deutschen Abgeordneten haben fast geschlossen für die Nichtentlastung votiert und maßgeblich zur satten Mehrheit von 270 zu 225 Stimmen beigetragen. Die Fraktionschefin der Sozialisten, Pauline Green, möchte nun die EU-Kommission mit einem seltsamen Manöver unterstützen: Sie hat für Januar einen Mißtrauensantrag eingebracht, um mit dessen Ablehnung einen Vertrauensbeweis für die EU-Kommission zu erreichen. Das könnte aber schiefgehen. Selbst wenn keine zwei Drittel für den Sturz der Kommissare zusammenkommen – schon eine einfache Mehrheit würde bedeuten, daß die EU-Kommission im Parlament kein Vertrauen mehr genießt. Alois Berger