Anschlag auf Grab Galinskis

■ Am Tag nach der Sprengung des Grabes von Galinski in Berlin wird über die Tat spekuliert

Berlin (taz) – Der Wärter des jüdischen Friedhofs an der Heerstraße in Berlin-Charlottenburg steht hinter einem verriegelten Eingangssportal und sagt immer wieder auf russisch die Worte: „Sewodnja sakruito“, heute geschlossen. „Sawtra, ponedjelnik“, also am Montag, sei der Friedhof erst wieder für die Öffentlichkeit zugänglich. Die Besucher wissen warum. Nicht erst die Polizeiwagen und der Pressetroß läßt vermuten, was passiert ist. Die meisten haben in den Morgenmeldungen an diesem Sonntag schon gehört, daß das Grab von Heinz Galinski, ehemaliger Vorsitzender des Zentralrates der Juden in Deutschland, durch einen Sprengstoffanschlag teilweise zerstört wurde.

Nur einige wenige haben Zugang zum Tatort. Ruth Galinski, Witwe des 1992 verstorbenen Ehrenbürgers der Stadt Berlin, steht am Grab, auch Andreas Nachama, Vorsitzender der Berliner Jüdischen Gemeinde. Die etwa drei Quadratmeter große Grabplatte ist durch die Explosion in vier Teile zerborsten. Steine und Marmorsplitter liegen um die Ruhestätte. Beamte des Staatsschutzes knien im Schotter und sichern die Spuren. Kameraleute und Fotografen halten sich auffällig zurück. Als sich Ruth Galinski gefaßt hat, sagt sie, sichtlich bewegt: „Das sind keine Menschen, die so etwas tun, das sind Verbrecher.“ Nachama erklärt, die Tat gelte nicht nur Galinski, sondern der Jüdischen Gemeinde. Nur wenige Sätze werden gesprochen. Auf die Frage eines Reporters nach seiner Einschätzung der Tat, preßt ein Begleiter Nachamas nur den Satz heraus: „Ich bin Jude.“

Der Anschlag auf die Grabstätte war am Samstag abend verübt worden. Der Friedhof ist an diesem Tag, am Sabbat, geschlossen. Kein Friedhofswärter war vor Ort. Eine Polizeistreife kontrolliert stündlich das Gelände, doch seien die Täter, so die Polizei, offenbar vom Gelände eines angrenzenden Militärfriedhofes eingedrungen, obwohl dort ein hoher Stacheldrahtzaun errichtet wurde.

Das Grab Galinskis wurde nicht zum erstenmal geschändet. Drei Monate zuvor wurde ein Teil des Sockels herausgebrochen.

Ignatz Bubis, Nachfolger Galinskis als Präsident des Zentralrates, sprach gestern in Frankfurt am Main von einer gezielten Aktion. Mit derartigen Ereignissen habe man leider seit Jahren zu tun. „Hier wurde ein Symbol ausgesucht.“ Galinskis Tochter Evelyn brachte die Tat in einen Zusammenhang mit der jüngsten Debatte um das Erinnern an den Holocaust zwischen dem Schriftsteller Martin Walser und Bubis: „Die geistigen Brandstifter und Schreibtischtäter“ trügen Verantwortung, daß ein Klima entstanden sei, in dem solche Taten möglich sind, sagte sie. Bundespräsident Roman Herzog wird in einem Telegramm an die Witwe Galinskis mit den Worten zitiert: „Diese Tat ist Ausfluß einer verrückten Gesinnung und das Werk von wirren Einzelgängern.“ Die Polizei wollte, wie in ähnlichen Fällen üblich, einen rechtsextremistischen Hintergrund nicht ausschließen. In Kreisen der Jüdischen Gemeinde wird ein Zusammenhang mit der kürzlich erfolgten Vermietung der in Berlin ansässigen Villa Garbaty an die rechtsextremen „Republikaner“ vermutet. Das denkmalgeschützte Haus war bis 1939 in jüdischem Besitz. Andreas Nachama hatte in diesem Zusammenhang die „Republikaner“ als eine „PR- Agentur für Ausländerfeindlichkeit“ bezeichnet. Auch Inge Robert stand gestern vor dem verschlossenen Friedhofstor. „Das ist kein schönes Gefühl, in einem Land zu leben, in dem so etwas passiert. Wäre ich noch jünger, ich würde sofort meine Koffer packen.“ Sie lebe gern in Deutschland, „aber seine Aggressionen an Grabsteinen auslassen, das ist doch das Widerlichste.“ Sie hat eine lachsfarbene Rose für das Grab ihres verstorbenen Mannes mitgebracht. Er ruht unweit der Galinski-Grabstätte. Doch sie will die Blume nun auf Galinskis Grab stellen lassen. Neben der Grabstele, die unbeschädigt geblieben ist. Markus Völker

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