Ex-Nato-Chef bleibt der Knast erspart

Das höchste belgische Gericht verurteilt Willy Claes zu einer dreijährigen Haftstrafe auf Bewährung. Der ehemalige Wirtschaftsminister soll Rüstungsaufträge an Firmen gegen Schmiergelder vergeben haben  ■ Aus Brüssel Alois Berger

Der frühere Generalsekretär der Nato, Willy Claes, ist vom höchten belgischen Gericht wegen Korruption zu drei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt worden. Außerdem muß er 3.000 Mark Strafe zahlen und darf fünf Jahre lang nicht mehr wählen oder gewählt werden. Das Gericht kam zu dem Schluß, daß Willy Claes im Dezember 1989 als belgischer Wirtschaftsminister einem Rüstungsauftrag an die italienische Firma Agusta zugestimmt hat, weil Agusta als Gegenleistung eine Parteispende über 2,5 Millionen Mark zusagte.

Neben Claes, der bereits 1995 wegen dieser Affäre nach einjähriger Amtszeit als Nato-Generalsekretär zurücktreten mußte, saßen elf weitere Politiker und Geschäftsleute auf der Anklagebank. Der Ex-Verteidigungsminister Guy Coeme erhielt eine Bewährungsstrafe. Auch Serge Dassault, Chef der französischen Fugzeugfirma Dassault wurde wegen Bestechung zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Er soll wie Agusta bei der belgischen Regierung Ende der 80er Jahre mit Parteispenden einen Rüstungsauftrag gekauft haben.

Willy Claes hatte stets bestritten, von den Spendengeldern für seine Sozialisten gewußt zu haben. Er habe als Wirtschaftsminister nur zu prüfen gehabt, ob die begünstigten ausländischen Unternehmen als Gegenleistung auch ausreichend in Belgien investierten. Solche Kompensationsgeschäfte sind bei großen Rüstungsaufträgen üblich. Die Abwicklung der Spenden sei ohne sein Wissen erfolgt, beharrt Claes.

Das Gericht folgte der Staatsanwaltschaft, die zu der „inneren Überzeugung“ gelangt war, daß Claes Drahtzieher des Deals gewesen sei. Es habe bessere Angebote von anderen Rüstungsfirmen gegeben, so die Staatsanwälte, für die Auftragsvergabe an Agusta und Dassault hätten die Parteispenden eine erhebliche Rolle gespielt. Claes und Coeme hätten die Ausschreibungsunterlagen so verändert, daß Agusta und Dassault den Zuschlag bekommen hätten.

Auf das Urteil fallen gleich mehrere Schatten. Zwar gibt es viele Hinweise, daß Claes bei seiner Entscheidung vor allem für Agusta auch die Parteikasse der Sozialisten im Auge hatte und informiert war. Bis Ende der 80er Jahre scheint es zudem üblich gewesen zu sein, daß belgische Rüstungsaufträge unter der Hand an Parteispenden gekoppelt wurden. Aber der belgischen Staatsanwaltschaft ist es offensichtlich nicht gelungen, dies zu belegen.

Sicher ist, daß Geld in die Kassen der flämischen wie auch der wallonischen Sozialisten geflossen ist, und zwar genau zu dem Zeitpunkt, als die Staatsaufträge an die spendenfreudigen Unternehmen vergeben wurden. Doch es gibt unterschiedliche Aussagen, welche Politiker an den Geheimabsprachen beteiligt waren. Die Verdachtsmomente gegen eine Reihe von Politikern, darunter der EU- Wettbewerbskommissar Karel van Miert, wurden nicht weiter verfolgt. Van Miert war damals Parteichef der flämischen Sozialisten.

Die Justiz rechtfertigt sich damit, sie hätte nicht genügend Personal, um alle Vorwürfe zu behandeln. Die belgischen Zeitungen kritisierten, die Anklageschriften seien schlampig zusammengeschustert worden. Für Claes und die anderen gibt es keine Berufungsmöglichkeiten. Minister dürfen in Belgien nur vom höchsten Gericht verurteilt werden, darüber gibt nichts mehr. Doch weil die Richter den Fall als Ganzes behandeln wollten, wurden auch Nichtminister vor das höchste Gericht gestellt. Sie fühlen sich um ihr Recht auf Berufung gebracht und drohen mit einer Klage vor dem Europäischen Menschenrechtshof in Straßburg.

Am schwersten lastete auf dem Prozeß das Verhalten der Generalstaatsanwältin Eliane Liekendael. Sie hat sich mit ihrem Widerstand gegen die geplante Justizreform in einen Privatkrieg mit der politischen Klasse des Landes verheddert. Ihre undifferenzierten Vorwürfe gegen Politiker haben den Prozeß in den Geruch eines persönlichen Rachefeldzugs gebracht.