Waldwege, sich kreuzende, gehen

„Wenn freilich die Lampe in meinem Zimmer brennt...“ Der Briefwechsel zwischen Hannah Arendt und Martin Heidegger gibt Zeugnis einer unterbrochenen, doch ungebrochenen Liebe zwischen den ungleichen Philosophen. Eine Beziehung am Holzweg  ■ Von Marie Luise Knott

Liebes Fräulein Arendt! Ich muß heute Abend noch zu Ihnen kommen und zu Ihrem Herzen sprechen. Alles soll schlicht und klar und rein zwischen uns sein. Dann sind wir einzig dessen würdig, daß wir uns begegnen durften.“ So beginnt der erste (überlieferte) Brief des Lehrers Martin Heidegger (35 Jahre) an seine Schülerin Hannah Arendt (18) aus dem Jahr 1925. Es ist der Beginn einer spannungsreichen Liebesbeziehung, doch schlicht und klar und rein ist es in der Folge zwischen den beiden Philosophen nicht zugegangen. Was auch immer in den letzten Jahren (seit Elzbietta Ettingers Buch) spekuliert wurde, allgemein bekannt ist, daß beide 1925/26 eine – heimliche – Liebesbeziehung hatten.

Bekannt ist, daß der Universitätsrektor Heidegger 1933 in die NSDAP eintrat, während die Jüdin Arendt 1933 nach einer vorübergehenden Festnahme flüchtete, 1940 nur knapp der Deportation und Vernichtung entkam und sich noch Jahrzehnte später über die anpassungsfähigen deutschen Wissenschaftler erregte. („Zu Hitler fiel ihnen was ein, und zum Teil ungeheuer interessante Dinge“, sagte sie bitter-ironisch 1964, nicht zuletzt auf Heidegger gemünzt.)

Bekannt ist außerdem, daß Hannah Arendt in einem Brief an Karl Jaspers Heidegger 1947 als „potentiellen Mörder“ betitelte und 1946 seinen Ruhm in dem Aufsatz „Was ist Existenzphilosophie“ dekonstruierte. „Eine andere und durchaus diskussionswürdige Frage“ schreibt Ahrendt, „ist die, ob Heideggers Philosophie nicht überhaupt nur deshalb, weil sie sich mit sehr ernsten Sachen beschäftigt, ungebührlich ernst genommen worden ist. Heidegger jedenfalls hat in seiner politischen Handlungsweise alles dazu getan, uns davor zu warnen, ihn ernst zu nehmen.“

Trotz alledem besuchte Hannah Arendt ihren einstigen Lehrer 1950 bei ihrem ersten Aufenthalt im Nachkriegseuropa, und sofort scheint sich der Liebes- und Gesprächsfaden neu gesponnen zu haben. Jetzt hat die Arendt-Herausgeberin Ursula Ludz, dem allgemeinen Gerüchtewesen entgegentretend, im Heidegger-Verlag Klostermann die vorhandenen Briefe ediert. Doch der briefliche Austausch ist nicht dokumentierbar, da Heidegger die Briefe Hannah Arendts aus den Hochzeiten der Liebe (20er und 50er Jahre) nahezu ausnahmslos vernichtet hat. Nachlesen kann man nur die Briefe Heideggers, die der jungen Arendt trotz aller bitteren Erfahrung so wichtig gewesen sein müssen, daß sie sie auf ihrer Flucht rettete.

Bis 1950 enthält der Band von ihr nur zwei Briefentwürfe; unklar ist, ob sie sie in dieser Form je abgeschickt hat. Erst nach 1960 sind auch ihre Briefe teilweise erhalten geblieben. Um diese blinden Flecke zu erhellen, hat Ursula Ludz in den Anmerkungen Hannah Arendts Stimme nachzuempfinden versucht: Sie hat aus dem Arendt-Archiv teils unveröffentlichte Dokumente beigefügt, die dem Leser die Person Arendts vergegenwärtigen sollen.

Die Briefe Heideggers von 1925/1926 zeugen vom gemeinsamen Zauber. („Aber wir können nur sagen, daß die Welt nicht mehr meine und Deine – sondern unsere geworden ist – da, was wir tun und leisten, nicht Dir und mir sondern uns gehört.“) „Amo heißt volo ut sis“, zitiert Heidegger Augustinus, dessen Liebesbegriff sich Arendt einige Jahre später als Dissertationsthema wählt. „Ich liebe heißt: ich will, daß Du bist (was du bist)“.

Es scheint, als sei die Zeit bei und mit Heidegger 1925/26 Arendts Initiationszeit gewesen, ihr Austritt aus dem schattenhaften Mädchendasein und ihr Eintritt in die Welt – des Denkens und der Liebe gleichermaßen. 1925, als alles anfing, dominieren die romantischen, sehnsüchtig unerfüllten Liebesbriefe. Doch langsam weichen die innigen Verabredungskärtchen („Heute abend im Wald“), die von Freude, Not und Demut des Heimlichtuns erzählen („Komm gegen 9 Uhr! Wenn freilich die Lampe in meinem Zimmer brennt, dann bin ich durch eine Besprechung abgehalten. In diesem – unwahrscheinlichen – Fall komm am Mittwoch um dieselbe Zeit“), den zunehmenden Hinhaltungen, Beschwichtigungen, Schönrednereien. Hannah Arendt versteht. Und geht. Der Kommentar des Philosophen ist altväterlich: „Es spricht immer gegen die jungen Menschen, wenn sie nicht die Kraft haben zu gehen. Als wenn nichts gewesen wär.“

Daß Hannah Arendt den „potentiellen Mörder“ 1950 aufsuchte, hat mit der Erfahrung der Initiation zu tun. Der Zauber der Liebe setzt Überzeugungen außer Kraft, sieht über Enttäuschungen hinweg. Die neu entflammte Liebe des Jahres 1950 muß, zumindest was Heidegger anbetrifft, heftig gewesen sein. Heidegger schreibt ihr Gedichte: „In Jähen, raren, blitzt uns Seyn. / Wir spähen, wahren — schwingen ein“. Und sehnsüchtige Liebesbriefe: „Aber wie oft führe ich gerne mit dem fünffingrigen Kamm durch Dein Wuschelhaar, vollends wenn Dein liebes Bild mir mitten ins Herz blickt. ... Du weißt nichts davon, daß es der selbe Blick ist, der am Katheder mir zublitzte – ach, es war und ist und bleibt die Ewigkeit, weither in die Nähe.“

Martin Heidegger war verheiratet und hatte bereits zwei Kinder. Daher die Heimlichtuerei. Als Arendt 1950 Heidegger besucht, ist seine Frau teilweise anwesend, die früher unterbliebene Aussprache findet statt. Während Heidegger in der Folge dieses Treffen als „spontanen Einklang zwischen meiner Frau und Dir“ schönredet, erlebt Hananh Arendt Feindseligkeit und latenten Antisemitismus. Frau Heidegger, rapportiert sie an ihren Mann Heinrich Blücher, habe in ihrem Bücherschrank eine komplette Sammlung von der nationalsozialistischen Frauenpolitikerin Gertrud Bäumer und lese gar die Nationalzeitung.

Jäh bricht der neu gesponnene innige Faden zwischen ihm und ihr 1952 wieder ab: „Es ist gut, wenn Du jetzt nicht schreibst und auch nicht vorbeikommst. Es ist alles schmerzlich und schwierig.“ Seine Frau dürfte ihm die Hölle heiß gemacht haben. Sie habe es wieder geschafft, schreibt Hannah Arendt an Blücher, ihn buchstäblichst mit allen zu verfeinden. „Er selbst weiß nicht, wie man sich verhält, dreht sich in Wirbeln, in denen sich ihm einmal solche und ein anderemal andere Aspekte zeigen. (...) Ruhe braucht er auf jeden Fall, und die läßt sie ihm nicht, wenn ich auch nur in der Nähe bin. Überschrift: Das Bündnis zwischen Mob und Elite.“

Herbe und ziemlich endgültig scheint dieses Urteil, denn das Bündnis zwischen Mob und Elite kennzeichnet in Arendts Werk „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ den Zement, aus dem Nazismus gebaut ist. In den nächsten Jahren gibt es nur mehr vereinzelte Briefe, erst ab Mitte der sechziger Jahre belebt der Kontakt sich wieder, allerdings auf eher geläuterter Grundlage.

Martin Heidegger war 1950, als Hannah Arendt ihn besuchte, gesellschaftlich isoliert, er wähnte sich – von den Sowjets – bedroht. Er brauchte Menschen, die bereit waren, ihm zu begegnen. Kein Wunder, daß er versuchte, Hannah Arendt in sein Reich (des Denkens und Lebens) „herzulocken“. Heidegger hat Hannah Arendts Arbeiten weitgehend ignoriert.

Sie selber hat sich auch für die „Gegenständlichkeit“ dessen, womit sie sich beschäftigt, entschuldigt. Die Briefe, sofern sie von den Gesprächen zwischen ihnen reden, erzählen, daß die Welt des künstlerischen Schaffens ein wesentlicher gemeinsamer Bezugspunkt war. Nicht nur die Gedichte (ihre wie seine) zeigen, daß die Fragen des ästhetischen Schaffens beiden Denkern zentral war. Es ist zuallererst die Art und Weise des Heideggerschen Denkens, die Hannah Arendt faszinierte, die sie mit ihm teilen wollte – wenngleich auf ihre Weise: jener hartnäckig verfolgte Heideggersche Versuch, die „Sache aus ihrer Mitte sprechen zu lassen“.

In der Festrede zum 80. Geburtstag von Martin Heidegger beschreibt Hannah Arendt sein Denken als ein „Wege legen“, ein „Wegmarken setzen“. Die Wege seien nicht auf ein im vorhinein gesichtetes Ziel ausgerichtet; vielmehr seien sie vielfach „Holzwege, die, da sie „jäh im Unbegangenen aufhören... demjenigen, der den Wald liebt und in ihm sich heimisch fühlt, ungleich gemäßer sind als die sorgsam angelegten Problemstraßen, auf denen die Untersuchungen der zünftigen Philosophen und Geisteswissenschaftler hin- und hereilen“. Das Denken ist so gesehen ein Gehversuch; dem Holzfäller gleich geht Heidegger auf Wegen, die von ihm selbst gebahnt wurden.

Diese Unmittelbarkeit, die um den Traditionsbruch weiß, ja, Wirklichkeit und Traditionsbruch gegenwärtigt – diese Unmitelbarkeit ist das Faszinosum, mit all seinen Fragwürdigkeiten: Auf den Vorwurf, Heideggers Interpretationsarbeit sei „gewaltsam“, antwortet Hannah Arendt einmal verteidigend: Wo andere Menschen ein Werk wiedergeben und seine Bedeutung analysieren, begibt sich Heidegger in den Mittelpunkt des Werkes, in den ausgesparten Raum. Von dort aus entwickelt sich das Werk in eine lebendige Rede zurück, auf welche eine Widerrede möglich ist. „Was Ihnen wie Gewaltsamkeit erscheint, erscheint mir als die spezifische Lebendigkeit.“ Es wird dieses dialogische Verhältnis zu Dichtern, Denkern und Dingen gewesen sein, welches die Nähe begründet haben dürfte.

„Und dann träume ich – Du möchtest doch hier wohnen, Waldwege, sich kreuzende, gehen“, schreibt Heidegger 1950 nach dem Wiedersehen. Und Hannah Arendt schreibt 1960, als sie ihm „Vita activa“ schickte: „Wäre es zwischen uns je mit rechten Dingen zugegangen – ich meine zwischen, also weder Dich noch mich –, so hätte ich dich gefragt, ob ich es Dir widmen darf, es ist unmittelbar aus den ersten Freiburger Tagen entstanden und schuldet Dir in jeder Hinsicht so ziemlich alles.“ Gewidmet hat sie es ihm nicht, aber die persönliche Widmung, die sie sich selber notiert, hat Ursula Ludz im Anhang wiedergegeben: „...dem Vertrauten, dem ich die Treue gehalten und nicht gehalten habe, Und beides in Liebe.“

Martin Heidegger hat Fräulein Arendt zu ihrem Herzen gesprochen. Nicht schlicht, nicht rein, nicht klar, aber lebenslang.

„Hannah Ahrendt, Martin Heidegger, Briefe 1925–1975 und andere Zeugnisse“. Frankfurt am Main 1998, 435 Seiten, 88 DM