Stets zu Diensten

■ Mit Rot-Grün wird es keinen Einstieg in eine geheimdienstfreie Gesellschaft geben. Einige Vorschläge, was sich dennoch ändern sollte

Lange Jahre standen die Grünen als „linksextremistisch beeinflußte“ Partei, als Angehörige der Anti-AKW- und Friedensbewegung unter Beobachtung der Geheimdienste. Nicht zuletzt deshalb plädieren die Grünen seit ihrer Gründung für eine schrittweise Auflösung der Dienste.

Mit der Regierungsbeteiligung tragen sie nun auch die Verantwortung für die Geheimdienste des Bundes – für das Bundesamt für Verfassungsschutz (VS), den Bundesnachrichtendienst und den Militärischen Abschirmdienst. Bereits heute steht fest: Unter Rot- Grün wird es weder einen Einstieg in die geheimdienstfreie Gesellschaft noch einen Ausstieg aus dem autoritären Sicherheitsstaat geben. Nur einen harmlosen Satz widmet der Koalitionsvertrag den Geheimdiensten: „Wir werden die parlamentarische Kontrolle der nachrichtendienstlichen Tätigkeit, die zur Zeit in mehreren Gremien stattfindet, in einem Kontrollgremium zusammenfassen und dessen Befugnisse ausweiten.“

Die Koalitionsvereinbarung bedeutet nichts anderes als: Wir lassen die Aufgaben und Befugnisse der drei Bundesgeheimdienste unangetastet. Gleiches gilt für die Geheimdiensthaushalte (über eine Milliarde Mark) und den Personalbestand (etwa 10.000 Festangestellte). Statt dessen gelten auch bei diesem Politikfeld die rot-grünen Formeln: „Normalität“, „Kontinuität“ und „Wir wollen nicht alles anders, aber vieles besser machen“. Müssen wir uns also auf „bessere“ Geheimdienste gefaßt machen?

Natürlich hat sich durch den Regierungswechsel die Geheimdienstkritik keineswegs erledigt. Nach wie vor gehört es zum kollektiven grünen (alternativen) Bewußtsein, daß es sich bei der bald 50jährigen Geschichte des „Verfassungsschutzes“ um eine Geschichte von Skandalen, Verfassungs- und Bürgerrechtsverletzungen handelt. Eine Geschichte, die belegt, daß Demokratie und Geheimdienste grundsätzlich unvereinbar sind. Geheimdienste, die vermeintlich die Demokratie schützen, widersprechen dem Prinzip demokratischer Transparenz und öffentlicher Kontrolle.

Welche Konsequenzen hätte Rot-Grün aus dieser Misere selbst unterhalb der Schwelle der Auflösung ziehen können? Anfang der 90er Jahre hatte die rot-grüne Landesregierung in Niedersachsen immerhin noch den Versuch unternommen, das dortige Landesamt für Verfassungsschutz personell und finanziell abzubauen und rechtsstaatlich zu zähmen. Herausgekommen ist das liberalste Geheimdienstgesetz in der Bundesrepublik – und wohl auch weltweit: Unter anderem wurde die Schwelle, ab der dem VS ein Eingreifen erlaubt ist, von der reinen Gesinnungsebene auf die eines gewaltorientierten Verhaltens heraufgesetzt; die „nachrichtendienstlichen Mittel“ wurden im Gesetz abschließend aufgezählt, darüber hinaus mehr Transparenz und eine deutlich verbesserte parlamentarische Kontrolle eingeführt. Dieses Reformwerk, das zu einer deutlichen Begrenzung der VS-Aktivitäten führte, ging vielen zu weit. Kaum war die SPD allein an der Macht, machte sie wesentliche Teile rückgängig.

Es ist also nicht verwunderlich, daß mit dieser SPD eine rechtsstaatliche „Zähmung“ der Geheimdienste auch auf Bundesebene wenig Chancen hat. Deshalb kann die im Koalitionsvertrag beschlossene Verbesserung der parlamentarischen Kontrolle aus Sicht der Grünen allenfalls als Trostpflaster gewertet werden nach dem Motto: Wenn an der Substanz nicht zu rütteln ist, dann verbessern wir wenigstens die Kontrolle.

Die vereinbarte Zusammenfassung der bisher separat arbeitenden Kontrollgremien in einem neuen Kontrollausschuß könnte die Kontrollqualität tatsächlich verbessern, wenn gleichzeitig die Kontrollbefugnisse ausgeweitet werden. Dazu schweigt sich der Koalitionsvertrag allerdings aus. Es gibt hier also noch Gestaltungsspielraum. In dem Gesetzentwurf der Koalition müßte unter anderem festgeschrieben werden:

– daß jede Fraktion mindestens einen Sitz im neuen Kontrollausschuß erhält,

– daß der Ausschuß das Recht erhält auf Einsicht in Geheimdienstunterlagen, auf unangemeldeten Zugang zu Geheimdiensteinrichtungen sowie auf Anhörung von Mitarbeitern, Auskunftspersonen und externen Sachverständigen,

– daß sämtliche Kontrollrechte bereits auf Antrag nur einer Fraktion geltend zu machen sind (Minderheitsrecht),

– daß ein vom Ausschuß zu bestimmender Sachverständiger beauftragt werden kann, die Kontrollrechte für den Ausschuß wahrzunehmen.

Auch die Kontrolle über die Aufgaben der Nachrichtendienste und ihre Beobachtungskriterien sollte verankert werden, darüber hinaus die Beratung der jährlichen Wirtschaftspläne der Dienste sowie eine Berichtspflicht des Bundesdatenschutzbeauftragten gegenüber dem Ausschuß. Dieser sollte grundsätzlich öffentlich tagen und nur in begründeten Einzelfällen geheim. Darüber hinaus ist an die Einsetzung eines unabhängigen Geheimdienstbeauftragten nach dem Vorbild des Wehrbeauftragten zu denken. Gleichzeitig sollten die Auskunftsrechte von Betroffenen verbessert werden. Die Verweigerungsgründe der Geheimdienste sind erheblich zu reduzieren, außerdem sollten Betroffene auch ein Akteneinsichtsrecht erhalten.

Selbst mit derart verbesserten Kontrollkompetenzen wird sich eine demokratische Vollkontrolle der Geheimdienste nicht erreichen lassen. Gleichwohl machen sie Sinn, nicht zuletzt, weil sie auch Rückwirkungen auf die Arbeit der Geheimdienste haben werden.

Weil die grundsätzliche Kritik dadurch jedoch nicht obsolet wird, sollte diese Rudimentär-Reform zum Anlaß genommen werden, eine Überprüfung der Bürgerrechts- und Demokratieverträglichkeit von Geheimdiensten vorzunehmen sowie ihr prekäres Verhältnis zur Polizei (Staatsschutz) zu problematisieren, das im Zuge einer geheimpolizeilichen Entwicklung längst nicht mehr dem machtbegrenzenden Gebot der Trennung von Geheimdiensten und Polizei entspricht.

Die Geheimdienste haben der politischen Kultur der Bundesrepublik bislang mehr geschadet als genutzt. Eine Gesellschaft gewinnt dann an demokratischer Kultur, wenn sie sich offensiv auch mit radikalen Positionen auseinandersetzt und nicht administrativ dem Verfassungsschutz überläßt. Der Verfassungsschutz ist Ausdruck eines verkürzten Demokratieverständnisses in Deutschland. Rolf Gössner