Kommentar
: Rot-grüne "Gleichschaltung"?

■ Die oppositionellen Phantasien des Wolfgang Gerhardt

Mag sein, daß Wolfgang Gerhardt unter seinem Langweiler-Image leidet. Mag auch sein, daß er seinen Verein im oppositionsinternen Wettbewerb um die maßlosesten Vorwürfe gegen die neue Regierung auf der Verliererstraße wähnt. Eine Entschuldigung für die Ausfälle des FDP- Chefs beim Dreikönigstreffen in Stuttgart ist beides nicht. Selbst Oberbayer Edmund Stoiber hat den rot-grünen Machthabern bislang nicht unterstellt, ihre Rolle nach Art der Nazis auszufüllen. Genau das tut Gerhardt, wenn er im Zusammenhang mit geplanten Umbesetzungen in den wissenschaftlichen Beratungsgremien der Bundesregierung über „einen Versuch der Gleichschaltung“ schwadroniert. Die Verwilderung der politischen Sitten nimmt ihren Lauf.

Zur Debatte steht nicht nur ein verbaler Ausrutscher – wer hat als Mittfünfziger schon ständig präsent, was er als Halbwüchsiger im Geschichtsunterricht über die Nazifizierung von Staat und Gesellschaft gelernt hat. Es geht auch um den Tatbestand selbst, den Gerhardt mit seinem Nazivergleich vor allem im Visier hatte. Also um die Neubesetzung von Reaktorsicherheits- und Strahlenschutzkommission. Ausgerechnet! Was der bündnisgrüne Umweltminister mit der geplanten Rochade in der nuklearen Beratungslandschaft bezweckt, ist just die Aufhebung einer Jahrzehnte währenden Uniformität. Seit ihrer Gründung in den Jahren 1958 und 1974 hat kein atomkraftkritischer Wissenschaftler je einen Fuß in eines der beiden Gremien gesetzt. Nicht die Neubesetzung ist der Skandal, sondern die Weigerung der Vorgängerregierungen, in den Beratungsgremien ein Mindestmaß an Pluralität zu gewährleisten. Die Atomfreunde spiegelten nie – und seit Tschernobyl immer weniger – das ganze Spektrum des wissenschaftlichen Sachverstandes. Eine rot-grüne Regierung kann gar nicht anders, als diesen unhaltbaren Zustand endlich zu beenden.

Ironie der Geschichte: In seinem literarisch verbrämten Versuch der Entsorgung der jüngsten deutschen Geschichte warnte Martin Walser jüngst vor der Instrumentalisierung der Nazidiktatur „für gegenwärtige Zwecke“. Darüber mag man denken, wie man will. Wolfgang Gerhardts Ausfall gegen die Bundesregierung jedenfalls beweist grandios, wie berechtigt die Mahnung war. Nur leider, Walser hatte ganz andere im Auge. Gerd Rosenkranz

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