Wie schön dürfen Polizisten sein?

Hemdkragenlänge oder Lagerfeld-Zopf, Posse oder bürokratische Ernsthaftigkeit: Am Freitag muß das Bundesverwaltungsgericht über die Haartracht der uniformierten Staatsmacht eine höchstrichterliche Entscheidung treffen  ■ Aus Berlin Vera Gaserow

Das Ansehen der Staatsmacht ist Zentimetersache. Keiner hat es je gemessen, aber ein, zwei Zentimeter zuviel – schon ist es futsch. Vorbei die Autorität der staatlichen Hoheitsträger, verloren die Achtung vor Recht und Ordnung, gefährdet die innere und äußere Sicherheit. Man glaubt ja nicht, was so ein paar Zentimeter alles anrichten können. Nur gut, daß die Obrigkeit sich auch mit Details befaßt, und so haben am Freitag die ehrwürdigen Juristen des Bundesverwaltungsgerichts über nichts Geringeres als die Recht- und Verfassungsmäßigkeit von ein paar Zentimetern Männerhaar zu richten.

Konkret gesagt: Es geht um die ein, zwei, manchmal vielleicht auch drei Zentimeter Haar des Münchner Polizeihauptmeisters Norbert F., die knapp über den Kragenrand seines Uniformhemdes ragen. Und es geht um ein silberglitzerndes Knöpfchen, Durchmesser vielleicht ein Zentimeter, das besagter Polizist im Ohr zu tragen pflegt. Beides, so ordnete sein Dienstvorgesetzter – zunächst mündlich, dann schriftlich – an, habe an einem deutschen, dazu noch bayerischen, vor allem aber männlichen Polizeibeamten nichts zu suchen und folglich zu verschwinden: die Haare über dem Uniformkragen und der Sticker im Ohrläppchen.

„Von weiten Kreisen der Bevölkerung wird eine lange Haartracht bei Polizeibeamten als unpassend bzw. ungewöhnlich empfunden“, begründete die vorgesetzte Dienstbehörde ihre Weisung. „Eine Beeinträchtigung des Ansehens der Polizei beim Bürger“ sei zu befürchten, zumal Norbert F. seinen Dienst in der Einsatzzentrale der bayerischen Hauptstadt versieht, die von „Meinungsträgern, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und der Politik [...] und von Polizeibeamten des In- und Auslandes“ frequentiert wird. Welch Autoritätsverlust für den Freistaat, könnte jemand einen Blick auf den Wachtmeister am Computer erhaschen. Doch Norbert F. hatte kein Einsehen. Was als persönlicher Kleinkrieg zwischen Vorgesetzten und Untergebenem begann, wuchs sich zur Staatsaffäre aus. Die beschäftigt die Justiz nun seit acht Jahren.

In der ersten Instanz nahmen drei Verwaltungsrichterinnen den jungen Beamten in Augenschein und befanden, er biete „ein korrektes und gepflegtes Erscheinungsbild“. Haarlänge und beanstandeter Sticker seien heute „bei einer Vielzahl von Männern [...] und auch bei Polizeibeamten zu beobachten“. Der Dienstherr habe zwar das Recht festzulegen, welche persönlichen Accessoires im Dienst nicht zu tragen seien, doch beeinträchtige Norbert F.s Äußeres das einheitliche Erscheinungsbild der polizeilichen Uniformträger nicht. Der Polizeihauptmeister konnte Haar und Ohrstecker wie gehabt weiter tragen.

Drei Jahre später – der Freistaat Bayern war in die Berufung gegangen – hatten drei Männer über die Staatsaffäre zu entscheiden. Ohne Ansehen der Person urteilten die Oberverwaltungsrichter, Polizeibeamte hätten die Weisung hinzunehmen, die Haare „auf Hemdkragenlänge zu tragen“, und was den inkriminierten Ohrschmuck angehe: „Bei männlichen Uniformträgern in staatlichen Hoheitsfunktionen stößt dieser jedenfalls in Kreisen der älteren Bevölkerung immer noch auf Ablehnung.“ Zum Beweis für diese Behauptung ein Meinungsforschungsinstitut oder ein Sachverständigengutachten heranziehen, so wie es Norbert F.s Anwalt verlangt hatte, mochten die Richter dann aber auch nicht.

Inzwischen zieht der Musterstreit republikweit Kreise: Bayern hat 1995 eigens „Leitlinien zum Erscheinungsbild von Polizeivollzugsbeamten“ verabschiedet, die zentimetergenau nach den Geschlechtern unterscheiden: Weibliche Polizeivollzugsbeamte dürfen – „zur Vermeidung eines Kurzhaarschnitts“ – ihr Haar hochgesteckt tragen, männliche haben es auf Kragenlänge zu stutzen. Auch Ohrschmuck ist den weiblichen Polizeikräften nicht verwehrt – aus Sicherheitsgründen ist ihnen nur das Tragen von „großformatigen Ohrringen“ untersagt. Verfassungswidrige Ungleichbehandlung, argumentiert nun Polizeihauptmeister F. und fordert gleiches Recht für alle.

Doch ungleiches Recht herrscht längst in allen Bundesländern. Während in Bayern Hemdkragenlänge gilt, billigte der Verwaltungsgerichtshof Kassel einem hessischen Polizeibeamten sogar einen „Lagerfeld-Zopf“ zu. Eine Dienstanweisung, das Haar zu kappen, stelle einen „unzulässigen Eingriff in das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit“ dar.

In Vorbereitung auf die höchstrichterliche Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts hat jetzt sogar der Oberbundesanwalt in die haarige Staatsaffäre eingegriffen. Der oberste Kläger der Nation fragte alle Bundesländer, wie sie es mit Haar- und Ohrtracht ihrer Polizisten halten. Elf Länder antworteten, nur jedes anders.

Am Freitag werden die Bundesverwaltungsrichter Klarheit schaffen müssen. Manch einer der grauhaarigen Herren am Richtertisch wird verstohlen mit der Hand im eigenen Nacken tasten und erschrocken den Blick abwenden vom jungen Protokollführer in roter Robe. Hat an dessen Ohrläppchen nicht etwas verdächtig geblinkt?