Der ganze Markt in Rosarot

Wie der Verlagskonzern Gruner + Jahr zusammen mit dem Londoner Wirtschaftsblatt „Financial Times“ die erste deutsche Tageszeitung seit zwanzig Jahren gründen will  ■ Von Lutz Meier

Bei Gruner + Jahr ist man diesmal lieber ganz vorsichtig. Jaja, da gebe es Gespräche, sagt Peter Caspar Hamel vage, der Sprecher des zum Bertelsmann-Konzern zählenden größten deutschen Verlagshauses. Aber welches Ziel diese Gespräche haben, da sei noch gar nichts klar. Vielleicht mache man irgendwann einen Online-Dienst auf... Neinnein, es gebe „noch keinerlei Vereinbarungen“.

Dabei sitzt nicht weit von Hamels Pressestelle seit Jahresbeginn der Brite Andrew Gowers in einem Büro nahe dem des G+J-Zeitungsvorstands Bernd Kundrun, um die Pläne umzusetzen, die der Sprecher so eloquent ins Wolkige redet. Und es geht um einen dicken Brocken, mit einem Investitionsvolumen von geschätzten 160 Millionen Mark: um die erste wirkliche Neugründung einer überregionalen Tageszeitung in Deutschland, seit vor zwanzig Jahren die taz gegründet wurde.

Gowers ist Vizechefredakteur der Londoner Financial Times (FT), mit 384.000 Exemplaren täglich eine der wichtigsten Wirtschaftszeitungen der Welt. Zusammen mit Gruner + Jahr will der Londoner Pearson-Konzern, dem die FT gehört, das Konzept der Zeitung auf Deutschland übertragen. Noch im nächsten Jahr soll die deutsche FT erscheinen, wenn die optimistischen Pläne aufgehen, die in der Hamburger G+J-Zentrale kursieren. Auflagenerwartung für Deutschland: mindestens 100.000 Exemplare (die englische Ausgabe setzt hierzulande 20.000 Stück ab). Zwar gibt es in der Tat noch keinen endgültigen Vertrag zwischen den Verlagen, aber seit einigen Wochen schon eine feste Vereinbarung, wie Quellen bei G + J versichern. Und wäre noch allzuviel an den Plänen unsicher, hätte der als Chefredakteur der deutschen FT vorgesehene Andrew Gowers sich wohl kaum schon in Hamburg ein Domizil gekauft.

Der als agil und entscheidungsfreudig beschriebene Mann, der fließend deutsch spricht, verfaßt nicht nur papierne Konzepte, sondern beginnt schon Personalpakete zu schnüren. So soll sich Spiegel-Geschäftsführer Karl-Dietrich Seikel bereits bei G+J-Chef Gerd Schulte-Hillen dagegen verwahrt haben, daß Gowers munter in den Redaktionen des Spiegels und des zum Spiegel gehörenden Manager Magazins (MM) wildert – schließlich gehören G + J 25 Prozent beim Spiegel. Die Schreibe und der investigative Ansatz von Blättern wie Spiegel und MM ist dabei eher Vorbild als der etwas dröge Approach des Handelsblatts, bislang der Platzhirsch bei täglichen Wirtschaftsnews in Deutschland.

Anstatt die Erfolgsberichte der Unternehmen nachzubeten, wie es die zum Holtzbrinck-Konzern zählende Zeitung in ihrer Rubrik „Unternehmen und Märkte“ täglich tut, wolle man eher kritische Wirtschaftsberichterstattung auf allen Ebenen betreiben: Analysen, Reportagen und auch „Gossip“, wie die Briten leichthin sagen – Klatsch. Schließlich ist die Londoner FT mehr noch als die in Frankfurt mit 110.000 Exemplaren gedruckte Europa-Ausgabe für eine gesunde Skepsis, kritische Analysen und scharfe Ironie bekannt. Und sie ist nicht nur für Banker und Börsenmakler interessant, da sich die Redaktion auch umfassend um Politik und Kultur kümmert. Das soll auch die deutsche FT tun, für deren Sitz bislang Hamburg favorisiert wird. Neben 25 Finanzberichterstattern in Frankfurt sollen allein 30 der über 100 vorgesehenen Redakteure dazu nach den Plänen in Berlin angesiedelt sein.

Dort hatte es Ende 1997 auch erste Kontakte zwischen Gowers und G+J-Leuten gegeben, als das G+J-Blatt Berliner Zeitung eine Kooperation mit der FT plante. Eine Arbeitsgruppe fertigte auch schon Probeseiten für eine gemeinsame Wirtschaftsberichterstattung. Doch die Verbindung scheiterte, und die Hamburger Konzernzentrale zog die Zusammenarbeit mit Pearson an sich. Dort wurde inzwischen nach G+J- Art akribisch Marktforschung betrieben und auch schon erste Dummies (Probeandrucke) gefertigt – auf dem von der britischen FT bekannten eleganten blaßrosaorangenen Papier. Die Arbeitsteilung zwischen G + J und den Briten ist dabei klar. Um die Redaktion kümmern sich allein die Leute von Pearson, für die Deutschen bleibt die kaufmännische Seite. Der Grund ist klar: Bislang hat der Konzern im Wirtschaftsbereich kaum Kompetenz anhäufen können, auch wenn er in Köln die Fachzeitschriften Impulse und Capital verlegt. Demonstrativ wurde das FT-Projekt bei Zeitungschef Kundrun angesiedelt, was die startegische Rolle der Pläne unterstreicht.

Für Kundrun, der mit aggressiven Marketingmethoden seine Blätter (Berliner Zeitung, Sächsische Zeitung) voranzubringen trachtet, ist die deutsche FT eine Art „Gesellenstück“, wie es intern heißt. Schließlich soll der eifrige Kostendämpfer im Oktober 2000 die Chefposition bei G + J übernehmen. Schon fürchtet man speziell im Zeitschriftenbereich, Kundrun werde das Gewicht zu den Zeitungen verschieben. Im Haus G + J ist das Projekt nicht unumstritten, aber dort zofft man sich ohnehin gerne.

Nachdem im vergangenen Jahr der Terror der Ökonomie mit zahlreichen neuen Blättern bereits den deutschen Zeitschriftenkiosk ergriffen hat, ist klar, daß nun auch der in der Vergangenheit nicht eben innovationsfrohe Verlag G + J sein Heil in der Wirtschaft sucht. Schließlich fürchten nach einer Capital-Studie inzwischen vier Fünftel der Erwachsenen unter Fünfzig, einstmals werde ihre Rente nicht mehr reichen. Die Vision, die würde es nun alle zur Börse treiben statt in die Sozialämter, klingt zwar etwas naiv, hat aber allenthalben das Interesse an Wirtschaftsthemen ausgeweitet. Bislang jedoch betrifft das eher die öden Zahlenkolonnen von den Finanzmärkten und die dazugehörigen „news you can use“. Schon haben auch die FAZ und die Süddeutsche ihre Wirtschaftsberichterstattung ausgebaut.

Beim Holtzbrinck-Konzern fürchtet man indes noch nicht um sein Handelsblatt, auch wenn Geschäftsführer Hans-Werner Nienstedt sagt, auf dem Markt sei nur Platz für eine Wirtschaftszeitung. Die Konkurrenz werde nur „den Investor Geld kosten“, sagt er. Und der treffe auf einen „sehr flexiblen Marktpartner“. So gelassen hat man bei Stern und Spiegel einst auch geredet, bevor Focus kam.