Unterrichtseinheit Ei

Elliptisch in der Botschaft, dafür eindeutig in ihrer ideologischen Anspannung: Das Polnische Kulturinstitut zeigt acht Dokumentarfilme von Andrzej Brzozowski  ■ Von Helmut Höge

Drygas, Piewowski, Brzozowski – was holt sich das Institutskino da bloß immer für eigenartige Leute ins Haus? Die polnische Schule (des Dokumentarfilms) ist auf dem besten Wege, das zu werden, was in den Fünfzigern und Sechzigern das polnische Plakat und dann das polnische Theater im Ausland waren. „Ich ließ mich nicht zum Spielfilm verleiten, zum düsteren Warten auf die Sonne im Spielplan, zu den zigmal wiederholten Szenen im Atelier“, erzählt Brzozowski. „Eines Tages lief ich davon und wanderte durch Polen. Dort fand ich alles: ständige Überraschungen, merkwürdige Menschen, verblüffende Situationen. Es war so, als hätte ich auf einem Baum geschaukelt... Von diesem fröhlichen Baum der ,dokumentaren Ahnungslosigkeit‘ holte mich Jerzy Bossak auf den Boden. Er hat mir beigebracht, Verantwortung zu übernehmen.“

Über die Filmhochschule Lodz, an der Bossak lehrte, sagte einmal der Regisseur Kazimierz Kutz: „Bedingung für die Aufnahme war zwar die Mitgliedschaft im Kommunistischen Jugendverband, aber unsere Lehrer hatten ihre Überzeugungen, und sie hatten den Mut, sie nicht nur zu äußern, sondern auch für sie zu kämpfen. Ich denke, wenn man das Geheimnis der Entstehung dessen sucht, was man später die polnische Schule nannte, dann liegt gerade hier die Ursache – in der ideologischen Spannung.“

Heute ist der 1932 geborene Brzozowski selbst Professor an der Filmhochschule Lodz, deswegen besorgte er auch gleich die Auswahl der studentischen Arbeiten, die nun im Polnischen Kulturinstitut gezeigt werden. Die „ideologische Spannung“ in seinen eigenen Arbeiten liegt z.B. darin, daß er in den sechziger Jahren, als die KP Polens langsam auf einen antisemitischen Kurs einschwenkte, mehrmals das „jüdische Thema“ behandelte: 1963 in „Eine Impression über das Töten“ – ein Kurzfilm über ein Paar, das aus dem Zug springt, der in ein Konzentrationslager fährt. 1967 „Spuren“: Passantengeschichten sowie ein kurzes Laientheaterspiel über die von Deutschen verschleppten Juden eines Dorfes. Die Dreharbeiten mußte Brzozowski zwischen 1967 und 1982 „aus politischen Gründen“ unterbrechen. 1968 „Archäologie“: Ausgrabungen in der Nähe des dritten Krematoriums des Vernichtungslagers Birkenau.

Neben diesen Filmen zeigt das Kulturinstitut auch noch drei Dokumentationen von Brzozowski über Laos und Vietnam: Kriegsfilme. Zunächst „Laos, die rote Erde“, über den permanenten Ausnahmezustand, der Zivilisten und Soldaten zwingt, nahezu ihr gesamtes Leben in Berghöhlen zu verlegen: schlafen, Textilien weben, Zeitungen drucken, kochen, ins Theater gehen, Lieder anstimmen. Ein zartes Mädchen singt „Das Blut unserer imperialistischen Feinde wird fließen“.

Der zweite Film heißt ausdrücklich „Drei Lieder, in Laos gehört“. Der dritte, „Das Feuer“, zeigt ohne Hast die Schönheit des Alltagslebens in einem vietnamesischen Reisbauerndorf. Nach einem B-52-Angriff blieb nichts mehr davon übrig. Berühmt machte den Wajda-Assistenten Brzozowski sein mehrfach preisgekrönter Kurzfilm „Das ist ein Ei“ (1965) – eine nahezu kommentarlose Dokumentation über die Unterrichtseinheit „Ei“ in einer polnischen Blindenschule. Schließlich wird auch noch die „politische Impression“ „Salome“ gezeigt. Eine Aufführung des Pantomimenensembles von Tomaszewski. Die halbnackte Schleiertänzerin in der prachtvollen Barockkirche verlangt den Kopf des Johannes nicht umsonst. Was wollte uns der Regisseur damit 1968 sagen? Ich gestehe, ich weiß es nicht (mehr), die anderen Filme von Brzozowski sind aber ganz eindeutig – in ihrer ideologischen Anspannung.

Sonntag ab 18 Uhr in der Karl- Liebknecht-Str.7 in Mitte, ab 20 Uhr gibt es Filme von Brzozowskis Studenten