Joschka, in die Welt entrückt

Was mögen manche vom ersten grünen Außenminister erwartet haben? Unflätige Urlaute in der Kehle und einen Stein wurfbereit in der Hand? Statt dessen schien es zeitweise, als wolle er über den Parteien schweben  ■ Aus Bonn Bettina Gaus

Außenminister Joschka Fischer, der als bissiger Oppositionsredner stets im Scheinwerferlicht gestanden hatte, sprach in der europapolitischen Debatte des Bundestages vor leeren Bänken – die allgemeine Aufmerksamkeit galt allein seinem Vorredner, Bundeskanzler Gerhard Schröder. Nur sechs Wochen nach dem Amtsantritt der rot-grünen Bundesregierung hatte Bonn zum Alltag zurückgefunden. Dabei zeugte das fast hymnische Lob für Fischers erste Auftritte im Ausland noch beredt davon, wie tief verwurzelt Ängste vor dem ersten grünen Außenminister Deutschlands zuvor gewesen waren. Der brauchte für die guten Noten zunächst kaum mehr zu tun, als die Regeln des Protokolls zu beachten. Was mögen manche erwartet haben? Zerlöcherte Jeans, unflätige Urlaute in der Kehle und einen Stein wurfbereit in der Hand?

Joschka Fischer selbst kannte die Befürchtungen, die sich mit seiner Person verknüpften. Nur wenige langjährige Weggefährten nahm er als schützenden Kokon mit ins Auswärtige Amt. Daneben betrieb er eine behutsame Personalpolitik und setzte sich energisch dafür ein, daß Steuervorteile für Diplomaten erhalten blieben. Die Loyalität im eigenen Haus hat er sich gesichert.

Der Minister führte so beharrlich die Zusage im Mund, die Kontinuität der deutschen Außenpolitik bleibe gewahrt, daß er damit selbst manchen Anhängern der alten Regierung auf die Nerven fiel. Was denn das spezifisch Grüne am ersten grünen Außenminister sei, wurde er immer wieder hartnäckig gefragt. „Daß die deutschen Interessen gewahrt werden“, lautete die Standardantwort. Über Wochen hinweg erweckte Joschka Fischer den Eindruck, nicht etwa der erste grüne Außenminister, sondern der erste gänzlich über den Parteien schwebende Politiker der Republik sein zu wollen.

Von den eigenen Leuten schien er eine Art Tauschgeschäft zu erwarten. In einem beispiellosen Kraftakt hatte er wesentlich dazu beigetragen, Bündnis 90/Die Grünen über die Fünf-Prozent-Hürde zu heben – nun sollten die ihn dafür im lange ersehnten Amt möglichst wenig belästigen. Es ist eingetreten, was manche befürchtet und andere erhofft hatten: Joschka Fischer ist in die Welt entrückt. Um Fraktion und Partei sollen sich nun andere kümmern. So ist mindestens in einer Hinsicht Kontinuität vorhersehbar: Außenminister belegen auf den Ranglisten der Popularität von Politikern stets einen der vordersten Plätze – aber ihren Parteien kommen die hohen Sympathiewerte kaum je zugute.

Dabei hat Fischer inzwischen einige Signale ausgesandt, die auf einen vorsichtigen Wandel in der Außenpolitik hindeuten. Die Verhaftung des ehemaligen chilenischen Diktators Augusto Pinochet in London wurde von ihm ausdrücklich begrüßt. Nach China will er vorläufig nicht reisen, dafür empfing er den Dissidenten Wei Jingsheng. Parteifreund Gerd Poppe ernannte er offiziell zum Menschenrechtsbeauftragten. In einer vielbeachteten Rede vor dem Straßburger Europaparlament entwickelte er seine Vision von einem vereinigten Europa mit einer gemeinsamen Verfassung: „Europa braucht mehr Demokratie. Die Entscheidungsprozesse in der Union müssen transparenter und für die Menschen nachvollziehbarer werden.“

So weit, so grün. Zu den heikelsten Themen aber hat der Außenminister bislang geschwiegen. Die britisch-amerikanischen Angriffe auf den Irak wurden von anderen europäischen Regierungen kritisiert. Fischer forderte lediglich eine „politische Lösung“ für das Land. Und bis heute hat er nicht erkennen lassen, welchen Stellenwert er UNO-Mandaten als Voraussetzung für Militärinterventionen der Nato einräumt. Das Gewaltmonopol der Vereinten Nationen sei auch für die neue Bundesregierung der „Regelfall“, sagte Fischer Ende November in einem Interview. „Kommt es hier aber zu schwierigen Situationen, ist diese Diskussion nicht abgeschlossen.“

Die schwierige Situation könnte schon bald eintreten und der Kosovo-Konflikt für den Außenminister die Nagelprobe darauf werden, wie groß der Spielraum ist, den seine Partei ihm läßt. Wie eng der Spielraum andernorts ist, hatte Fischer bereits zu spüren bekommen, als er zurückhaltend wagte, einen Verzicht auf die Nato-Option des atomaren Erstschlags zu fordern. Dabei hatte er doch betont, man wolle das im Bündnis klären, „damit wir hier nicht auf einen deutschen Sonderweg geraten“. Diese Zusicherung reichte nicht. Vor allem Washington zeigte sich irritiert, und Verteidigungsminister Rudolf Scharping bemühte sich um das, was er für Schadensbegrenzung hielt.

Wie wichtig war Fischer die Angelegenheit überhaupt? Immer wieder wird der Verdacht geäußert, er habe sich mit seinem Vorstoß vor allem in der eigenen Partei Luft für andere Entscheidungen verschaffen wollen. Ohnehin scheint es eigentlich nur ein einziges Thema zu geben, dem sich der Außenminister wirklich mit Leidenschaft widmet: Europa. Schröder gab auf einer SPD-Konferenz grobschlächtige Sentenzen von sich und sprach davon, in der Union würden deutsche Beiträge „verbraten“. Fischer hingegen verpackt die Forderung nach einer „Lösung der Nettozahlerproblematik“ in freundliche diplomatische Wendungen. So hatten sich Beobachter die Arbeitsteilung zwischen Rot und Grün nicht vorgestellt.

Der europäische Einigungsprozeß ist dem Außenminister ein Herzensanliegen, eine gelungene EU-Strukturreform während der deutschen Ratspräsidentschaft sein wichtigstes Ziel. Der Rest der Welt kommt bei Fischer allenfalls in Randbemerkungen zu humanitären Fragen, nicht aber in der politischen Analyse vor. Ob das reicht, wird sich zeigen müssen.