Die Wehen der Fahrradforschung

■ Hoffnungen, Hindernisse und Hebelverhältnisse: Wer glaubt, das herkömmliche Fahrrad sei gesund, der irrt – sagen Fahrradforscher der Uni Oldenburg. Sie untersuchen schädliche Schwingungen, um sie zu beseitigen

Seit über 12 Jahren untersuchen Oldenburger Physiker die Folgen von vibrierenden Fahhrädern auf RadlerInnen. Über den Stand ihrer Forschung sprach die taz mit Norbert Zacharias.

taz: Sie sind Fahrradforscher. Muß denn das Rad neu erfunden werden?

Norbert Zacharias: Fahrradforscher ist eine etwas saloppe Bezeichnung unserer Tätigkeit. Aktuell arbeiten wir an einem Projekt zum Schwingungskomfort. Das heißt, wir haben, gesponsort durch die Stiftung Deutsche Industrieforschung, ein Werkzeug für Leute entwickelt, die schwingungsdämpfende Vorrichtungen am Fahrrad konstruieren wollen. Damit kann man am Rechner – genau wie in der Automobilindustrie – schon mal bestimmte Sachen ausprobieren, ohne daß man gleich Prototypen bauen muß. So läßt sich schnell feststellen, welche Entwicklungen oder Änderungen Sinn machen.

Wofür braucht man sowas?

Lapidar gesagt: Damit's einem nicht die Plomben aus den Zähnen schüttelt, wenn man über Kopfstein fährt. Besonders wichtig ist es aber vor allem für Menschen mit Rückenproblemen.

Wie machen Sie das?

Wir arbeiten mit den VDI-Meßvorschriften zur Bewertung von Schwingung am Arbeitsplatz, um die Schwingungen, die am Arbeitsplatz auftreten und auf den Menschen wirken, zu objektivieren. Das Verfahren wurde unter anderem von den Berufsgenossenschaften mitentwickelt – für Trekker- oder LKW-Fahrer oder Leute, die mit handbetriebenen Maschinen arbeiten. Mit Hilfe dieses Verfahrens kann man feststellen, wie bestimmte Schwingungen den Körper schädigen. Mechanische Schwingungen können Arthrosen hervorrufen, also Gelenke verschleißen oder zu Durchblutungs- oder Bandscheibenschäden führen.

Aber es fährt ja niemand acht Stunden Fahrrad.

Richtig. Nur, wir mußten uns ja an einem Meßverfahren orientieren. Danach kann man schon feststellen, welches Rad eher bandscheibenschädlich ist. Was man auch nicht vergessen darf, ist, daß Vibrationen schon nach kurzer Zeit die Aufmerksamkeit beeinträchtigen können. Das heißt, die Unfallgefahr steigt.

Also, Radfahren ist schädlich?

Auf bestimmten Oberflächen, ja.

Ab wievielen Stunden?

Das können wir nicht sagen, wir sind ja keine Arbeitsmediziner.

Was muß am Fahrrad geändert werden, damit RadlerInnen gesund bleiben?

Es müßte bessere Radwege geben. Zum zweiten muß die Radwegebenutzungspflicht aufgehoben werden. Außerdem braucht man eben besser gefederte Räder.

Das Problem ist doch uralt. Wieso steckt die Fahrradforschung eigentlich noch dermaßen in den Kinderschuhen?

Das hat wohl damit zu tun, daß schwingungsdämpfende Maßnahmen am Rad ein zusätzliches Gewicht darstellen. Die erste schwingungsdämpfende Maßnahme kam ja mit Herrn Dunlop – mit der Luftbereifung. Danach gabs immer verschiedene Ansätze; seit 30 Jahren gibt es das erste vollgefederte Moulton-Rad, ein Serienrad, mit einer relativ einfachen Federung.

Werden Sie neidisch, wenn Sie sehen, wieviel Geld zeitgleich in die Autoforschunggesteckt wird?

In der Fahrradbranche scheint es so zu sein, daß die einzelnen Firmen nicht genug Geld in die Entwicklung steckten. Die Bereitschaft, Neuigkeiten einzuführen oder in Dinge zu investieren, die über einen Werbe-Gag hinausgehen, ist nicht so ausgeprägt.

Es heißt immer wieder, daß die Fahrradforschung mit dem Aufkommen des Autos einen Einbruch erlitten hat.

Ich bin Physiker, nicht Historiker. Aber es liegt nahe zu vermuten, daß der Fahrradmarkt schon mal größer war, weil das Fahrrad natürlich das Auto der kleinen Leute war. Fakt ist aber einfach, daß solche Entwicklungsarbeit Geld kostet, das nicht bereitsteht. Außerdem braucht es natürlich Zeit, solche Neuerungen zu etablieren. Wir denken, daß wir mit unserem Tool, das wir auf den Markt bringen wollen, der Fahrradindustrie ein bißchen einen Schubs geben können – so daß Innovationen in Gang kommen.

Was haben Sie Firmen denn zu bieten?

Wir haben natürlich das Interesse, mit Firmen zusammenzuarbeiten. Aber dort herrscht häufig der Gedanke, daß es für 10.000 Mark eine marktfertige Komponente geben würde. Das können wir natürlich nicht leisten. Das wären nicht nur unrealistische Kostenvorstellungen; wir als Physiker können außerdem kein marktfertiges Produkt anbieten, weil wir, was Produk-tionstechniken und Materialwissenschaft angeht, einfach die falschen Leute sind. Wir bieten die Möglichkeit, am Rechner zu simulieren ohne daß es viel kostet – damit dann beispielsweise der Techniker mit dem Designer zusammensitzt und der Designer meinetwegen sagt, pack das Ding doch mal zehn Zentimeter weiter nach rechts, das sieht geiler aus. Am Rechner würde man dann vielleicht schnell merken, das sieht vielleicht geil aus, ist aber von der Wirkunsgweise her idiotisch, weil sich Hebelverhältnisse ungünstig verändert haben.

Das klingt, als wenn Fahrradforschung ein echtes Einzelkämpferterrain ohne Nachfrage wäre – obwohl mittlerweile doch viele Menschen aufs Rad umsteigen.

Naja, es gibt eine Menge Leute, die in der Hinsicht tätig sind. In Aachen sitzt die Materialforschung, Dauerfestigkeitstests und so, sehr wichtig für die Produkthaftung. Dann gibt es noch ein paar Fachleute und jede Menge Freaks, die auf eigene Kosten experimentieren. Was wirklich fehlt, ist eine Koordination – ein großer Topf, aus dem firmenübergreifend grundlegende Forschung finanziert werden kann.

Wann werden wir AlltagsradlerInnen endlich von den Verbesserungen profitieren, an denen Sie jetzt tüfteln?

Wir tüfteln nicht an Verbesserungen – wir schaffen nur die Grundlagen dafür, daß andere Leute konstruktiv arbeiten können. Wir stellen – als Black-box sozusagen – die Physik zur Verfügung. Schwingungsdämpfende Systeme sind komplexe Systeme, die häufig über das Wissen von Fahrradbauern hinausgehen, die von der Ausbildung her eher Techniker und Kaufleute sind.

Schön. Aber wann kriegen wir denn endlich die Räder, die uns gut tun?

Das hängt letztlich davon ab, wie stark VerbraucherInnen das nachfragen. Eine Rolle spielt vielleicht auch, daß viele Leute jetzt in ein Alter kommen, wo sich die Zipperlein bemerkbar machen, die aber zugleich viel Geld haben. Wenn die in den Laden gehen und sagen, ich will ein komfortables Rad, das meinem Gewicht und meinen Anforderungen entspricht, muß der Einzelhandel reagieren. Zugleich entsteht der Druck auf die Hersteller, vernünftige Federungen auf den Markt zu bringen.

Worauf müssen Menschen achten, die ein gutes Fahrrad suchen?

Vor allem auf gute Beratung – auch wenn das illusorisch ist, weil 95 Prozent aller Händler in punkto Federung nicht kompetent sind.

Und schwingungsmäßig...

Da muß man sich aufs Rad setzten und probieren, ob man auf den heiklen Oberflächen damit klar kommt. Man könnte natürlich solche Dinge auch messen lassen ... eine großangelegter Test wäre denkbar. Wir haben ja das Equipment. Denn auch die subjektive Wahrnehmung kann beim kurzfristigen Test trügen. Einen allgemeinen Hinweis gibt es aber schon: Der Federweg, also der Weg, um den sich das Rad hoch oder runterbewegen kann, sollte möglichst lang sein. Außerdem müßten Räder auch nachjustiert werden können – um Gewichtsveränderung, etwa durch Ladung oder Gepäck, auszugleichen. Aber dazu müßte man ingenieursmäßig entwickelte Federungen haben. Die gibt es zur Zeit nur in sehr eingeschränkter Menge.

Fragen: Eva Rhode