Einmal Pizza „Kippenberger“

Zwei Ausstellungen in Luxemburg beschäftigen sich mit der früheren Kunstmetropole Paris und ihrem heutigen Stellenwert als Zentrum für Immigrationsbewegungen  ■ Von Gregor Jansen

Im Bankenzentrum Luxemburg, wo Devisen reichlich vorhanden sind, stellt Kunst eine eher sparsam verwendete Kapitalsorte dar. Um dies aufzuhebeln, investiert das kleinste EU-Land verstärkt in ästhetischen Mehrwert, beispielsweise in den Neubau eines Museums für Moderne Kunst. Als Probelauf und Aufwertung der eigenen Position kommt die Weltmetropole Paris gerade recht. Wo im letzten Sommer die zweite Europa-Biennale „manifesta“ stattfand, stehen derzeit mit „L'École de Paris? 1945–1964“ die historische und mit „Gare de l'Est“ die zeitgenössische, noch wenig diskutierte Kunst aus Paris zur Anschauung. Beides paßt nicht recht zusammen und stiftet doch gemeinsam Sinn, wenn man die Konzeptionen beider Großausstellungen betrachtet.

Das Fragezeichen im Titel der Pariser Schule plädiert nicht für eine Infragestellung des ehemaligen künstlerischen Zentrums. Vielmehr stellt es die widersprüchlichen und leidenschaftlichen Auseinandersetzungen heraus: Nie herrschte ein bestimmter Stil noch eine Mode oder ein dominierender Geschmack. Paris als das „Laboratorium“ der Moderne legte keine Verpflichtungen auf, sondern stellte sie selbst fortwährend in Frage. Und seiner Anziehungskraft entkamen damals wenige – im krassen Gegensatz zu heute, wo die französische Metropole im Fokus der Kunst an Anziehungskraft enorm verloren hat.

Neben aller musealen Wertschätzung betonen die Kuratoren dabei die weitaus aktivere Rolle der Galerien. Schließlich waren es Galerien wie Bucher, Drouin, Maeght oder René, die ebenfalls enorm investierten und halfen, den Status der „eigenen Existenz“ zu formulieren – immerhin eignete die existentielle Bedrohung des Krieges der Kunst eine neue Aufgabe zu. New York wird in Luxemburg geschickt als komplementäres Modell zum gleichberechtigten Paris verstanden; gemeinsam bilden beide das „Große Atelier“ der Moderne. Das Netz der internationalen Bezüge wird fein gesponnen, so daß es zuletzt auch die multinationalen Beziehungen des kleinen Finanzzentrums in der Mitte Europas kulturell unterfüttert.

All das ist zwar inhaltlich vorhanden, in den labyrinthischen und auf vielen Ebenen begehbaren Räumen des Nationalmuseums jedoch nicht sichtbar. Es überwiegt der „delikate Kadaver“ einer Metropole mit Dokumenten aus Malerei, Skulptur und Graphik, die bei über 250 Werken von knapp 100 Künstlern kaum Wünsche offenlassen. Andererseits wird auch Brüssels gedacht, denn das Projekt ist Jacques Santer unterstellt, dem als Präsident der Stiftung Musée d'Art Moderne Grand-Duc Jean die Aufgabe zukommt, den für 2001 geplanten Neubau dieses Museums (Architekt: I.M. Pei) europäisch zu inaugurieren.

Vor der Haustür verweisen Schrottautos von Seamus Farrell indirekt auf die einige Gehminuten entfernte Ausstellung „Gare de l'Est“ im Casino. Der in Paris lebende Chinese Hou Hanru und Enrico Lunghi vom Casino Luxemburg haben 15 Künstler gleichen Immigrantenstandes eingeladen, die neuen Bedingungen eben jener alten Kunstmetropole an den urbanen Veränderungen von Zentrum und Peripherie aufzuzeigen.

Es gelingt nur bedingt. Gleichwohl ist das symbolreiche, ironische Bild einer jungen Szene deutlich konturiert: Gleich im Eingangsbereich schreibt Sam Samore auf Wände und Türen seine aphoristischen Gefühlsformeln, und Tsuneoko Taniuchi dokumentiert ihre Ninja-Girl-Performance. Im Erdgeschoß tönen die auf dem Boden arrangierten Maschinen-Körper und -Köpfe von Malachi Farrell; fotografisch dokumentieren das Künstlerpaar Florisa Haerdter die Einwohner und Veränderungen der Bauten im afrikanischen Immigrantenviertel „Goutte d'Or“ (in Schwarzweiß) und Sieglinde Klupsch den Abfall der Wochenmärkte (farbig).

Koo Jeong-A legt eine riesige, übelriechende Naphthalin-Mottenkugel in den Raum, und Pascale Marthine Tayou setzt ein Wasserbassin ein, um die Ausstellungsstimmung zu kontextualisieren. Mit voluminös-bunten Vorhängen ironisiert Wang Du den typischen Luxemburger Häuserchic, so wie auch Farrells Schrottautos neben den Nobelkarossen der Banker irritieren sollen. Im Obergeschoß forscht Silvie Blocher in ihren „one-person-stories“ per Video nach jugendlichem Ausdruck, und Olivier Blanckart polemisiert gegen Autorität, indem Chirac als „Platzhirsch“ eine kitschige Landschaftsszene besetzt. Bei Claude Leveque wird mittels eines Astronautenkreisels das Orientierungsvermögen stark strapaziert, und Seamus Farrell ästhetisiert in einer beeindruckenden Installation das Ephemere des Steinwurfs.

Fotografie, Video und Installationen dominieren wie überall, wo zeitgenössische Kunst als urbane Szenerie erscheint, wobei eine charmante Indifferenz gegenüber ihren Inhalten und Mischungen selten als buntes Treiben so spürbar wurde wie hier. Hou Hanru, der mit Hans-Ulrich Obrist das „cities on the move“-Projekt kuratiert hatte, kommt dabei das Interview mit Enrico Lunghi für den Katalog sehr gelegen, um alle theoretischen Prisen von künstlerischen Kontexten und Globalisierungsetiketten beizugeben. So stellen sie den „Ostbahnhof“ nicht nur mit Luxemburg in eine dialogische Beziehung, sondern auch mit Amerika, Shanghai oder Afrika. Es darf von einem neuen Alten gesprochen werden: think globally, act locally. Boris Achour treibt es dann auf die Spitze des Zeitgeists, wenn er eine städtische Pizzeria mit Künstlerpizzen versieht: Statt Tonno, Funghi oder Frutti di mare bestellen Sie jetzt bitte die Versionen „Joy Division“, „Debord“ oder „Kippenberger“. Adieu französischer und luxemburgischer Franc, bonjour Euro, oder wo noch mal liegt Paris?

„L'École de Paris? 1945–1964“, Musée national d'histoire et d'art; „Gare de l'Est“, Casino Luxemburg; beide Ausstellungen noch bis zum 21.2.99.