■ Die Fixierung auf den Doppelpaß bedroht das rot-grüne Projekt
: Die Niederlage ist hausgemacht

Rot-Grün hat einen traumhaften Steilpaß vorgelegt, die hessische CDU hat die Vorlage angenommen und sicher verwandelt. Mit stolzgeschwellter Brust verläßt der Spielmacher Roland Koch als Sieger die Arena. Kaum ist das Spiel abgepfiffen, tönt es aus dem Off: Schiebung. Die CDU hat an niedere Instinkte appelliert, mit ihrer Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft rassistische Ressentiments geweckt, einen Sieg auf Kosten der Ausländer errungen. Alles richtig. Nichts ist naheliegender und auch einfacher, als die rot-grüne Niederlage so zu erklären.

Man kann es aber auch anders sehen. Die CDU hat mit der Ablehnung der doppelten Staatsbürgerschaft auf die richtige Karte gesetzt. Sie hat ein Thema besetzt, das die Deutschen wie kaum ein anderes bewegt. Für 60 Prozent der Wähler, die von einer anderen Partei zur CDU wechselten, war der Doppelpaß das ausschlaggebende Thema. Das kann man beklagen, zeigt es doch, wie tief ein großer Teil der Bevölkerung in ein völkisches Selbstverständnis verstrickt ist, wie weit die Mehrheit der Deutschen noch von einem modernen Staatsbürgerverständnis entfernt sind. Der CDU nun vorzuwerfen, daß sie ihre Chance ergriffen hat, ist pubertär. Vielmehr bleibt nüchtern festzuhalten: Die Union hat sich entschieden, in Fragen des Staatsbürgerrechts einen nationalkonservativen Kurs zu fahren. Und dieser Kurs wird Teil der Strategie zur Rückeroberung der politischen Macht zunächst im Bundesrat und später dann in Bonn sein.

Wie geht es nun in Bonn mit der Reform des Staatsbürgerrechts weiter? In der SPD werden die Stimmen, die bislang aus Parteiräson den Doppelpaß nur verhalten kritisierten, lauter werden. Bei den in diesem Jahr noch anstehenden Landtagswahlen droht Rot-Grün aufgrund des Streits um den Doppelpaß ein weiterer Machtverlust. Damit sind weitere rot-grüne Reformvorhaben wie der Atomausstieg und das Bündnis für Arbeit und mehr Verteilungsgerechtigkeit gefährdet.

Die rot-grünen Strategen sollten sich in einer ruhigen Stunde fragen, was sie bei der geplanten Reform des Staatsbürgerrechts falsch gemacht haben. Mit der bündnisgrünen Fixierung auf die doppelte Staatsbürgerschaft als Springpunkt der Reform droht eine historische Chance verspielt zu werden. Nämlich die, daß sich eine große gesellschaftliche Mehrheit trotz ihrer Ablehnung des Doppelpasses für die erleichterte Einbürgerung ausspricht. Diese Mehrheit hat Rot-Grün verabsäumt zu gewinnen und zu mobilisieren. Rot-Grün hätte es wissen müssen, daß sich eine gesellschaftliche Mehrheit nicht zwangsläufig in Mehrheiten bei Wahlen ummünzen läßt. Und schon gar nicht bei einem Thema wie der Ausländerpolitik. Rot-Grün hätte auch wissen können, daß zwar viele Bürger eine Reform wünschen, ihnen diese aber andererseits nicht so wichtig ist, um dafür zu kämpfen und im Zweifelsfall auf die Straße zu gehen.

Rot-Grün hat einen (überfälligen) Kulturkampf vom Zaun gebrochen, ohne inhaltlich und organisatorisch darauf vorbereitet gewesen zu sein. Wo waren die Informationskampagnen zur Reform, wo die Mobilisierung der SPD- und bündnisgrünen Basis? Tatenlos hat man dem politischen Gegner das Feld überlassen, viel zu spät auf dessen Kampagne reagiert. Alles nur eine Frage der Leichtfertigkeit? Nein. Es zeigt sich, daß sich vor allem die Grünen zwar gerne mit emanzipatorischen Forderungen für „unsere ausländischen Mitbürger“ schmücken, es in dieser Partei aber an inhaltlicher Substanz fehlt, den Bürgern im Land die Argumente, die für einen Paradigmenwechsel in der Ausländerpolitik sprechen, überzeugend zu vermitteln. Diese spüren schon längst, daß auch im grünen Milieu die Skepsis gegenüber der Entwicklung der multikulturellen Gesellschaft wächst, auch hier die Angst vor islamistischer Unterwanderung und ähnlichem verwurzelt ist.

Der Versuch, eine Reform gegen die Stimmung im Land durchzudrücken und auf Konsensgespräche mit der CDU/CSU und FDP zu verzichten, hat in die hessische Niederlage geführt. Nun droht das ganze Projekt auf die lange Bank geschoben zu werden. Eberhard Seidel-Pielen