Kommentar
: Der Kanzler braucht Druck

■ IG Metall: Lohnverzicht führt nicht zu mehr Beschäftigung

DIHT-Präsident Stihl hat ja recht, wenn er meint, bei laufendem Arbeitskampf in der Metallindustrie mache es keinen Sinn, sich in zwei Wochen bei Kanzler Schröder in Sachen „Bündnis für Arbeit“ zu treffen. Es wird dort zu keiner vernünftigen Kooperation kommen, während sich gleichzeitig zwei der wichtigsten Beteiligten gegenseitig beharken. Seltsam ist nur der öffentliche Widerhall des sich anbahnenden Tarifkonflikts. Die IG Metall gefährde mit ihrer Forderung die Bündnisgespräche, heißt es. Als ob die Arbeitgeber nicht genauso beteiligt wären. Die Metallwirtschaft wird zwischen 1997 und 2000, so die Analysten der Großbanken, ihre Gewinne von 16 auf 31 Milliarden Mark nahezu verdoppeln. Andererseits sind die Reallöhne seit Ende der 80er Jahre um rund zehn Prozent gesunken. Kein Wunder, daß das Arbeitgeberangebot, das mehr oder weniger auf Lohnstagnation hinausläuft, als Zumutung empfunden wird.

Wenn Lohnzurückhaltung zu mehr Beschäftigung führte, dürfte es schon seit Mitte der 90er Jahre keine Massenarbeitslosigkeit mehr geben. „Die Gewinne von heute sind die Investitionen von morgen, und die wiederum sind die Arbeitsplätze von übermorgen“ – dieser neoliberale Glaubenssatz funktioniert schon lange nicht mehr. Weder ist gewährleistet, daß die Gewinne in die Produktion fließen statt in die Finanzspekulation, noch ist sicher, daß durch Investitionen mehr neue Arbeitsplätze geschaffen als alte vernichtet werden. Insofern ist es verständlich, daß die Gewerkschaften jetzt dem Druck ihrer Basis nachgeben und für eine deutliche Reallohnerhöhung mobilisieren.

Der Verteilungskampf ist eine Sache, Strategien gegen die Massenarbeitslosigkeit eine andere. Insofern mag es sinnvoll sein, zunächst den Lohnkonflikt auszutragen und sich erst danach wieder zu „Bündnis“-Gesprächen zusammenzusetzen. Denn bei diesen muß es um strukturelle Veränderungen gehen: Anreize für flexiblere Erwerbsbiographien, für eine andere Verteilung der Erwerbsarbeit, Familienarbeit, von Bildungsphasen und gemeinnützigen Tätigkeiten aller Art. Es wäre zu wünschen, daß – wenn der Tarifkonflikt überstanden ist – die Gewerkschaft ihre Basis für derartige Ziele genauso engagiert mobilisiert wie jetzt für mehr Lohn. Der oberste „Bündnis“-Moderator, wir wissen es inzwischen, reagiert sehr sensibel auf Druck – bisher aber nur auf den Druck der Unternehmer. Martin Kempe