"...und Schmitt wird menschlich"

■ Skisprung-Experte Toni Innauer über den neuesten deutschen Ski-Helden, die gelungene Vereinigung von Ost und West - und sein Ziel, Österreich zum nordischen Skiland zu machen

taz: Herr Innauer, als Aktiver haben Sie mit esoterischen Lehren vom Mentalpositivismus an der Weite gefeilt. Sind Sie Mystiker?

Toni Innauer: Mystiker? Nein, bin ich nicht. Im Gegenteil, ich habe eigentlich immer versucht, dem mystischen Denken im Sport ein bisserl die Spitze zu brechen und mit analytisch-rationalen Erklärungen näher an die wirklichen Leistungen heranzukommen.

Zu welchen Schlüssen sind Sie denn gekommen?

Man kommt halt zu der Erkenntnis – man betrachte die Medizin –, daß die logisch-sachlichen Zusammenhänge die eine Sache der Heilung sind, daß aber der Glaube und die Selbstheilkräfte des Patienten sehr viel Kraft geben und sehr viel erzielen können.

Das paßt zu einem ihrer Leitsprüche: „Es gibt nichts Furchterregenderes als den endgültigen Beweis für die wirksame Macht der eigenen Gedanken.“ Macht die Psyche fliegen?

Ein wenig. Bei bestimmten Ereignissen im Sport kommt man in das Gefühl eines unbändigen Selbstbewußtseins hinein. Das ist ein Gefühl der Unverwundbarkeit, weil man Seriensieger ist und plötzlich merkt, aha, die Gegnerschaft beginnt langsam die eigene Übermächtigkeit zu akzeptieren. Man schafft das im Sport nicht durch einen Bluff oder dadurch, daß ich mir das über Werbung erkaufe, sondern allein durch den Beweis der Leistungsstärke. Und irgendwann zerbricht die Konkurrenz daran. Das war bei Matti Nykänen zu verfolgen, auch bei Herrman Maier. Die Gegner resignieren. Und der Leader empfindet das einfach so, wie wenn das heiße Messer durch die weiche Butter schneidet.

Irgendwann folgt der Absturz.

Ja, der Zustand der Grandiosität läßt sich nicht über Jahrzehnte konservieren. Sondern das ist ein Phänomen, das im Sport kurzfristig auftaucht und durch andere, meist zufällige Ereignisse endet. Es taucht zum Beispiel ein neuer Star auf. Oder nehmen wir Martin Schmitt. Er stürzt plötzlich bei einem sehr weiten Sprung in Innsbruck im Training, und einiges verändert sich. Er wird wieder menschlich, ganz normal, nachdenklich und organisiert sein Denken wieder ein bißchen komplizierter. Damit ist der Bann gebrochen, und er wird wieder antastbar.

Schauen Sie neidvoll auf den deutschen Skisprungboom?

Nein, das ist okay für mich, weil es dafür wunderschöne Erklärungen gibt. Es ist ein gutes System, es sind gute Leute, die da arbeiten. Ost und West sind, was das Skispringen angeht, synergetisch zusammengewachsen.

Tatsächlich?

Ja. Das zeigt sich im Trainerteam, das zeigt sich an Leuten wie Sven Hannavald, der aus Thüringen kommt und sich unproblematisch im Schwarzwald einlebt. Durch diesen sportlich-kulturellen Doppelbackground werden die Springer sehr stark. Und wenn ein tolles Talent wie der Martin Schmitt hinzukommt, ist zu erwarten, daß sich das Ganze hin zum Optimum entwickeln kann.

Wenn Sie in Ramsau bei der WM springen würden...

...würde ich an der modernen skispringerischen Schizophrenie leiden.

Die wäre?

Da würde ich oben stehen und mich fragen, wie hupf ich jetzt eigentlich – im V-Stil, den ich sieben Jahre lang gecoacht habe, ohne ihn wirklich springen zu können, oder klassisch. Aber den hab' ich schon fast wieder vergessen.

Sie sind nie im V gesprungen?

Ja, genau. Noch nie.

Wie kann man das ohne eigene Erfahrung vermitteln?

Beide Stile sind sehr ähnlich. Die Kräfte, die wirken, sind graduell zwar unterschiedlich, aber im Grunde ist keine so große Differenz. Es kommt auf die gleichen Knotenpunkte beim Sprung an.

Wie beurteilen Sie die Entwicklungen im Skisprungsport?

Skisprung hat sich in eine sehr professionelle Richtung entwickelt und auch auf eine Gratwanderung begeben, die von den Athleten, den Trainern und den Machern viel Verantwortung abverlangt. Das Problem der springenden Leichtgewichte ist offenkundiger denn je. Mit gesundheitlichen Argumenten ist das nicht mehr zu rechtfertigen. Wenig Gewicht ist zu einem Leistungskriterium geworden, an dem man nicht vorbeikommt, wenn man in der Weltspitze sein will. Es braucht Kontrolle, daß das nicht entgleist.

Herr Innauer, werden Sie als Chef der Nordischen Österreich dazu bringen, vom Alpin- auf den Langlaufski umzusteigen?

Da liegen Sie ganz richtig. Ich glaube, daß viele Österreicher schon umgestiegen sind. Allein die Verkaufszahlen unserer Skifirmen zeigen, daß das Verhältnis fast schon 1:1 ist.

Trotzdem werden Ihre Olympiamedaillengewinner Gandler oder Hoffmann immer hinter einem Herrmann Maier rangieren.

Ja, das ist derzeit ganz klar. Wir leben ganz einfach in einer Medienwelt, wo nur die Stars zählen. Und Star wird man nicht mit einer Medaille. Star wird man, wenn man über zwei, drei Jahre gewinnt, und zwar an den richtigen Orten die richtigen Medaillen. Trotzdem könnten noch einige öffentlichkeitswirksame Überraschungen im Langlauf lauern, weil doch eine Übersättigung beim alpinen Skisport da ist. Natürlich helfen uns zum einen die Erfolge unserer Läufer bei Olympia in Nagano und jetzt die WM im eigenen Land, in der Ramsau.

Verträgt sich denn die Après- Ski-gewohnte mitteleuropäische Seele mit der Anstrengung eines einsamen Langlaufs?

Das müßte schon auf einer anderen Schiene laufen. Man braucht beim Langlauf die richtige mediale Wirkung, um ihn zu verkaufen und um seine Prinzipien an den Mann zu bringen, damit es wie bei der Tour de France und einem Jan Ullrich wirklich akzeptiert wird, was da geleistet wird.

Apropos. Sie haben erklärt, Doping beim Skisprung bringe nichts, führten aber die Erfolge der DDR-Springer auf anaboles Doping zurück.

Es ist nur auf den ersten Blick ein Widerspruch. Ich habe die erste Aussage auf die Gegenwart bezogen, wo andere Materialbedingungen vorherrschen und die Skispringer extrem leicht sind. Das hat vor allem zu tun mit der Breite und Länge der Ski, mit dem V-Stil. Die reine Kraftkomponente für die Leistung ist zweitrangig geworden. In den 70er Jahren konnte mit Bärenkraft einiges erreicht werden und also auch mit Doping.

Langlauf ist trotz Festlegung des Hämoglobin-Oberwertes verdächtig. Wie verhindern Ihre neuerdings erfolgreichen Langläufer Doping-Verdacht?

Es muß noch mehr Kontrollen geben. Je stärker die Gefahr der Kontrolle für unehrliche Sportler wäre, desto mehr würden wir als Österreicher davon profitieren. Uns sind vor allem die Out-of- competition-Kontrollen wichtig. Wir wissen alle, daß Wettkampfkontrollen nur bedingt darauf hinweisen, ob da etwas sauber oder unsauber abgelaufen ist.

Herr Innauer, unter rationalen Gesichtspunkten: Wieviel Medaillen erwarten Sie von den Ihren?

Mein Wunsch sind drei. Langlauf, Skisprung, nordische Kombination – überall eine. Das wäre historisch. Das haben bisher eigentlich nur Norweger und Finnen geschafft. Interview: Markus Völker