Handschellen für ein Opfer der rechtsradikalen Hetzjagd

■ In Guben, wo am Samstag ein Algerier von Neonazis zu Tode gehetzt worden ist, hat die Polizei dessen Mitverfolgten stundenlang gefesselt in der Wache festgehalten

Berlin (taz) – Einer der Ausländer, die im brandenburgischen Guben rechtsradikalen Jugendlichen nur knapp entkamen, ist nach eigenen Angaben danach stundenlang von der Polizei festgehalten und gefesselt worden. Der Asylsuchende Issaka Kaba, ein Begleiter des getöteten Algeriers, sagte gestern der taz, er habe insgesamt sieben Stunden auf der Polizeiwache in Guben verbringen müssen. Vier Stunden davon seien seine Hände auf dem Rücken mit Handfesseln gesichert gewesen. Zuvor hatte er sich in die Gaststätte „Tom Bistro“ gerettet und dort, da er selbst nur wenig Deutsch spricht, mit Hilfe der Wirtsleute die Polizei alarmiert. Vier bis fünf rechtsradikale Jugendliche, die ihn verfolgt hatten, standen unterdessen vor der Tür der Gaststätte. Sie wurden von der Polizei nicht kontrolliert.

Insgesamt 15 Jugendliche werden mittlerweile verdächtigt, sich an der Hetzjagd beteiligt zu haben. Acht von ihnen sind inzwischen festgenommen worden. Aus Furcht vor seinen Verfolgern hatte der Algerier Omar Ben Noui eine Glastür eingetreten, sich dabei die Knieschlagader aufgerissen und war verblutet. Brandenburgs Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg wirft den mutmaßlichen Tätern fahrlässige Tötung vor, da sie die Angst und die Panik ihres Opfers einkalkuliert hätten. „Jeder Rechte weiß, daß Ausländer von ihresgleichen auch getötet werden. Er muß wissen, daß ihre Opfer in Todesangst auch riskant handeln“, sagte Rautenberg gestern zur taz. Gegen einen Teil der Rechten werde zudem in einem anderen Fall wegen räuberischer Erpressung ermittelt.

Ungewißheit besteht darüber, ob wirklich jede Hilfe für den in den Tod getriebenen Algerier Ben Noui zu spät gekommen wäre. Nach Informationen der taz ging am Samstag früh um 4.58 Uhr ein Notruf beim Polizeipräsidenten in Cottbus ein. Die Beamten informierten eine Minute später den Rettungswagen. Sie sollen aber keinen Notarzt angefordert haben. Eine Sprecherin des Landkreises sagte, die Polizisten hätten entgegen dem üblichen Verfahren „leider nicht die Leitstelle der Feuerwehr informiert“, die normalerweise einen Notarzt hinterherschickt. Um 5.09 Uhr traf der Rettungswagen ein. Sofort hätten die Sanitäter nach dem Notarzt telefoniert, der zwölf Minuten später nur noch den Tod Ben Nouis feststellen konnte. Unbeantwortet blieb gestern auch die Frage, warum das Polizeipräsidium in Cottbus nicht sofort die Sondergruppe „Mobile Einsatzgruppe gegen Gewalt und Ausländerfreindlichkeit“ (Mega) benachrichtigte. Die Spezialtruppe hat die Aufgabe, gewaltbereite Gruppen im Auge zu behalten. Am Samstag früh fuhren acht Mega-Beamte im 40 Kilometer entfernten Cottbus Streife. Nach Auskunft des Landeskriminalamtes (LKA) wurden sie weder von der Gubener noch der Cottbusser Polizei darüber informiert, daß die Rechten in Guben randalierten.

Politiker zeigten sich gestern über das Geschehen schockiert. Die Bundesregierung ließ über ihren Pressesprecher Uwe- Karsten Heye die rassistische Tat verurteilen. Die Regierung sei entsetzt und erwarte eine schnelle Aufklärung, sagte Heye. Die PDS machte die CDU für den Tod Ben Nouis verantwortlich. Fraktionsvorsitzender Gregor Gysi forderte die Union auf, die Unterschriftenaktion „Nein zu doppelter Staatsbürgerschaft, ja zu Integration“ sofort zu stoppen. Die brandenburgische SPD war gestern damit befaßt, die Vorwürfe des CDU-Landesvorsitzenden Jörg Schönbohm zu kontern. Schönbohm hatte zuvor gesagt, Ministerpräsident Stolpe (SPD) komme „ein Aufwind rechtsradikaler Parteien ganz gelegen, um auf diese Weise der Union einige Prozentpunkte abnehmen zu lassen“. Die SPD wies die Vorwürfe empört zurück. Annette Rogalla Reportage Seite 6