Laßt es Plastiksofas regnen!

■ Kazuko Watanabe inszenierte in Leipzig die Uraufführung von Simone Schneiders „Ägypter“, ein Stück über die Fallstricke des praktisch angewandten Multikulturalismus

Leipzig kommt, ach was: Leipzig ist schon da. Zumindest wenn man vom blitzblank restaurierten Bahnhof direkt ins Schauspielhaus eilt, wo sich das Ensemble gerade über die frisch ausgesprochene Einladung von Heiner Müllers „Weiberkomödie“ unter der Regie von Thomas Bischoff zum Berliner Theatertreffen freut. Das hauseigene Extrablatt zeigt an, daß man am Schauspiel Leipzig auch sonst gut abwägt, wem die Stunde zu schlagen hat.

So trat beispielsweise die um eine Kolumne gebetene Schauspielerin Bianca Nele Rosetz ihr Meinungsrecht an Wiglaf Droste ab. Daneben ergibt eine Rainald-Goetz-Nacht mit Texten und Musik einerseits („Goetz total“) und eine als Werkschau verpackte Zusammenstellung aller Repertoire-Inszenierungen des Hausregisseurs Armin Petras andererseits („Petras total“) eine angenehme Mischung aus Andockbereitschaft an den Zeitgeist von anderswo und einem eigenen Selbstbewußtsein. Petras, der in der Berliner Volksbühne immer noch als unsicherer Kandidat für Probebühnen gilt, ist in Leipzig ein Klassiker!

Manchmal ist Leipzig aber auch an Orten, an denen es gar nicht weiß, was es dort suchen soll. So am Sonntag, als das neue Stück von Simone Schneider uraufgeführt wurde. In Duisburg geboren und in Berlin lebend, ist die 36jährige gut im Geschäft. Letztes Jahr wurden am Hamburger Schauspielhaus („Malaria“) und in Mannheim („Alex“) gleich zwei Texte von ihr uraufgeführt. Auch „Ägypter“ ist nicht so dünn, wie es in Leipzig gemacht wird. Ein zwar seltsam in Nebensächlichkeiten verliebtes Befindlichkeitsdrama, das aber ein handfestes Thema hat. Existenzgesicherte Westbürger in ihren Dreißigern klauen sich eine kulturelle Identität zusammen, die sie nicht glücklich macht. Denn fremd darf das Fremde nur in der Fremde sein, zu Hause hätte man es dann doch gerne gemütlich.

Michelle (Martina Eitner Acheampong) und Hanns (Johann von Bülow) haben eine Firma, eine Beziehung und viel kraftlose Sehnsucht. Taisa, eine Roma (Susanne Buchenberger), will ihr Kind loswerden und braucht Geld. Enzio (Jochen Noch) ist ein reicher Erbe, der anfängt zu arbeiten, um Michelle zu gefallen, sein Sekretär Bob (Dirk Audehm) ist praktizierender Masochist. Man ahnt es schon: Es reden alle zuviel. Sagt einer „Guten Tag“, schiebt er gleich seine ganze uninteressante Lebensgeschichte hinterher, und sowieso ist alles superschick und elaboriert. Aber dieser eine Strang, wie Hanns sich auf Taisa stürzt, wie er sie emotional funktionalisiert und sie ihn finanziell, ist ein tragfähiger Konflikt, um den der Rest humoristisch gruppiert werden könnte. Auch schön, daß Michelle derweil einen jungen Ägypter erst verführt und ihn dann nicht mehr loskriegt. Sosehr sie ein Kind will – von ihm nicht, denn das wäre ja „Nachwuchs für den Clan“.

Zwischen den Fallstricken des angewandten Multikulturalismus westdeutscher Couleur bewegt sich nun im deutschen Osten die in Tokio aufgewachsene Regisseurin und Bühnenbildnerin Kazuko Watanabe, die auch eine Generation älter ist als Schneider und ihre Figuren. Eine Kombination, die naturgemäß mit der Identifikation auch die Möglichkeit zur Selbstironie ausschließt. Statt dessen erhebt Watanabe jovial den Zeigefinger: Guckt mal, wie die so sind!

Fast zwangsläufig wird Boulevard gespielt. Outriert, wie man so sagt, ohne Anteilnahme, aber auch ohne formale Stringenz. Irgendwie rausgedrückt eben. Vor einer blaumetallischen Knitterfolie (Meer) und einer orangen Scheibe (Mond) und auf transparenten Plastiksofas mit Stoffrosen drin (Rahaus) sondern die Figuren Text und Posen ab. Michelle gibt mit einer Samtschleppe die Diva, Taisa durch beständiges Hin-und- her-Hopsen das Vollblutmädchen etc. Der Atem reicht immer nur zur nächsten Pointe, die in diesem Kontext gar keine ist.

Nur eine einzige optisch hübsche Szene gibt es, wenn es Plastiksessel regnet, eine akustisch plausible, wenn sich der Boulevardton ins Melodramatische steigert. Das wär's vielleicht gewesen, das Melodram. So aber zeigte sich nur, wie egal einem als Westlerin in Leipzig auch das Ureigene werden kann, wenn es einem mit fremdem Blick kenntlich gemacht werden soll. Lost in Multikulti – immerhin: eine Analogie. Petra Kohse