Endlich daheim!

Die Welt trifft sich zur Internationalen Tourismusbörse in Berlin. Was heißt schon in die Ferne schweifen? Im Tourismus heutzutage geht es ums Ankommen. Unsere Urlaubsorte sind uns zur besseren Heimat geworden, einfach schöner. Tourismus ist das heimatfühlige Pendant der Globalisierung  ■ Von Christel Burghoff und Edith Kresta (Text) Andreas Herzau (Fotos)

Drift heißt mehr als treiben oder sich treiben lassen. „Drift“ bedeutet die Fähigkeit und Bereitschaft zu immer wieder neuem, existentiellem Umbruch. Zumindest der amerikanische Soziologe Richard Sennett sieht „Drift“ als die entscheidende Fähigkeit des zukunftsträchtigen „flexiblen Menschen“. „Drift“ heißt, sich und seine Biographie immer wieder neu zu erfinden, je nachdem, wie die Arbeitswelt es verlangt. „Drift“ heißt, immer verfügbar zu sein. Das Persönlichkeitsprofil des Menschen unter den Bedingungen des neuen, globalen Kapitalismus wächst aus der Abhängigkeit von Kapitalströmen. Sie haben ihn aus den alten Abhängigkeiten, Lebensstellungen und Biographien entlassen. Sennett hat die Gefühle der Menschen unter dem Druck dieses neuen Kapitalismus untersucht und einen diffusen Charakter prognostiziert: In der Produktionssphäre vereinzelt er immer mehr. Und er nimmt die Enteignung seiner beruflichen Kompetenzen selbstverständlich hin, denn die Globalisierungsprozesse entwerten Qualifikationen und Kompetenzen schneller denn je. Er akzeptiert den Verlust seiner Biographie, seiner Chancen auf Identitätsfindung, seiner Verwurzeltheit. Seine alltägliche gesellschaftliche Realität wird zunehmend unsicherer, seine Perspektive ist nebulös. Zukunftsangst, Existenzangst sind seine ständigen Begleiter. Gesteuert von Umbrüchen und Brüchen in seinem Leben, sucht er irgendwo verbindlich anzudocken. Doch Verbindlichkeit ist zu einem seltenen Gut geworden.

Wir driften. Verändern uns ständig, passen uns an. Nichts ist sicher, stabil. Flexibilität ist alles. Wir zerreißen uns zwischen den Anforderungen der permanenten Neudefinition. Wir driften von Job zu Job, von Weib zu Weib, von Ort zu Ort. Kein Ort nirgends. Um zu uns zu kommen, fahren wir in den Urlaub. Endlich daheim!

Denn der Tourismus bietet uns flexiblen Menschen Heimat. Die Pädagogin Gisela Wegener-Spöhring schildert das Gefühl des Ankommens: „Ich bin dieses Jahr ganz erschöpft in den Urlaub gefahren, und in meiner Erschöpfung brauche ich den Schutz, die Sicherheit, das Versorgtwerden. Die gute Organisation meines Veranstalters hat mir schon während der Reise die erste Gelassenheit ermöglicht... Ich sitze auf meinem Balkon in der Anlage von Las Sirenas Playas und höre einen künstlichen Wasserfall rauschen, leise Musik und Gesprächsfetzen der Menschen... Wie gut mir das tut... Ich fühle mich gut versorgt, wichtig, angenommen in meinen Bedürfnissen und vor allem angenommen in meiner Sinnlichkeit und Körperlichkeit, so wie ich sie zur Zeit in meiner Erschöpfung realisieren kann. Ich brauche ein schützendes Gehäuse für mich und meine Dinge, brauche mein Urlaubsdomizil als Schutz und Szenario im Hintergrund.“ Die Selbstschau Wegener-Spöhrings benennt treffend, was ihren Urlaub so attraktiv macht: aufgehoben und umhegt, geschätzt, hofiert und angenommen zu sein. „Wann habe ich denn das sonst je? Ich weiß, daß ich dies alles bezahle, aber ich nehme es aufatmend an.“

Tourismus schafft Zellen der Ganzheitlichkeit und Glückseligkeit. Vorbei die Zeiten durchgelegener Matrazen, Blümchenkaffees und zwei Wochen Schwarzbrotentzug. Wer heutzutage ins Urlaubsparadies reist, der kriegt sogar in Guinea-Bissau sein Heimatgefühl im Nutella- Portionsdöschen serviert.

Wenn, wie die Beobachter des neuen Kapitalismus feststellen, unsere Biographien zerissen sind, wenn also Instabilität zum Normalzustand wird, dann verspricht Tourismus Stabilität: ganz Ich, ganz Hier und Jetzt zu sein. Im Einklang mit sich und der Welt im ewigen Sonnenschein.

Bis in die letzte Wüstenoase sind uns unsere Bedürfnisse vorausgeeilt. Wenn wir uns aus dem Flugzeug schälen, sind sie dort längst angekommen. Vermarktet der Tourismus früher lediglich eine Region, ein Land an sich, so produziert er seine Paradiese heutzutage selbst. Der moderne Tourismus hat seine eigenen Bedingungen revolutioniert und sich weitgehend emanzipiert von den natürlichen Ressourcen. Er investiert zunehmend in dichte, ganzheitliche Erlebnisräume, abgeschlossene Oasen, synthetische Welten, die er in dieser Form nicht vorfindet, sondern erst schafft. Es sind „künstliche Welten“, in denen die natürlichen Ressourcen lediglich das stimulierende Umfeld stellen. Schöne, neue Welten, allseits befriedet, störungsfrei und perfekt inszeniert nach allen Regeln der Happiness. Es sind die weltweiten Touristenghettos. „Homelands“ nannte sie im letzten Jahr der Spiegel.

Beispielsweise Mallorca: Hier läßt es sich gut andocken. Sonne, Sand, Sex und Sangria, aber vor allem die Vertrautheit des siebzehnten Bundeslandes produzieren jährlich die Massenimmigration der Urlauber (allein jährlich drei Millionen Deutsche). Und wer kann, bleibt gleich da. Auf Mallorca leben schätzungsweise hunderttausend Deutsche: Ärzte, Friseure, Journalisten, Bierkönige, ReiseleiterInnen und die deutsche Fernsehprominenz. „Es gibt eine Sehnsucht nach authentischem Leben“, meint der mallorcaerprobte Seelsorger Pfarrer Heiner Süselbeck. „Das bedeutet, daß man eigentlich nur noch im Urlaub lebt. Unter den Bedingungen zu Hause – den ökologischen, sozialen und Arbeitsbedingungen –, da ist man eigentlich kein richtiger Mensch mehr, die richtige Lebenszeit ist die Urlaubszeit. Viele Paare wollten auf Mallorca heiraten, weil für sie das richtige Leben das Leben unter dem Dom des Südens ist, da wo sie es schön finden, unter der Sonne, wo das Meer blau ist.“ Die Kneipen, das Essen, die einschlägigen Treffs.

Hier ist es längst wie zu Hause, nur viel schöner! Und freier. An den Rändern Europas, den Kanaren etwa, lassen gar Omas und Opas die Hüllen fallen und flanieren fleischgeworden an weitläufigen Stränden. Und selbst im Moslemstaat Tunesien verrutschen Büstenhalter und Tabus. Beim „Alten Fritz“ in Hammamet gibt's Schnitzel, und mitten im Zentrum des Badeorts lockt frischgebrautes Weizenbier durstige Urlauber.

Unsere Urlaubsorte sind uns zur besseren Heimat geworden. Denn hier lebt es sich oft nicht nur billiger als in Deutschland, es ist auch angenehmer, wärmer. Endlich daheim? Fern der Heimat wird es uns so heimelig wie nie.

Per Definition ist der Tourismus welt- umspannend. Exponierte Vertreter wie der berühmte Hotelgründer Conrad Hilton strebten schon immer standardisierte Angebote an: Jedes Hilton sollte ein kleines Amerika verkörpern. Inzwischen wurden unsere Standards, unser Lebensgefühl, unser Lebensstil rund um den Globus realisiert. Wir haben uns weltweit eingerichtet. Das touristische Universum wurde zum modernen Haus: gemütlich und bequem ausgestaltet, von der Kellerbar über die Sauna bis zur begrünten und verglasten Terrasse. Wie die Hausbesitzer lassen wir uns ungeniert darin nieder.

Wer sich hemmungslos und glücklich bekleckern möchte, verkehrt im Ballermann, wer Sex will, kann sich zwischen Dominikanischer Republik, Thailand, Kenia oder Kuba entscheiden. Wer Sinn braucht, zieht sich in den weiten Meditationsraum der Wüste zurück. Wer sich nacn englischem Rasen sehnt, geht auf den Golfplatz. Wer als Gutmensch zu reisen beliebt, nutzt Angebote mit Ökogütesiegel. Wer immer spielen will, vergnügt sich in Center-Parks. Wer Archaik schnuppern möchte, probiert es im Animal Kingdom, und wer sich wie bei Muttern fühlen will mit der Illusion, das alles nichts kostet, geht in die All-inclusive-Anlagen. Distanzen werden uninteressant. Weltweit bewegt man sich von Ort zu Ort wie von Raum zu Raum.

Damals, als es anfing mit dem industrialisierten Tourismus, waren Gesellschaftstheoretiker der Überzeugung, daß man Tourismus als eine einzige Fluchtbewegung aus der gesellschaftlichen Wirklichkeit verstehen muß. Von Menschen, die sich ihre prosperierende Nachkriegsarbeitsgesellschaft aufgebaut hatten – aber das Alltagsgrau dann doch nicht so recht wollten. „Die Flut des Tourismus“, so verkündete Hans Magnus Enzensberger 1958, „ist eine einzige Fluchtbewegung aus der Wirklichkeit, mit der unsere Gesellschaftsverfassung uns umstellt.“ Was zu Beginn der großen Mobilmachung in den fünfziger Jahren vielleicht noch stimmen mochte, hat sich ins Gegenteil verkehrt. Nein, sie flüchten nicht, die Touristen, sie eignen sich die Welt an. Sie nehmen sich, was sie brauchen, egal wo und wie.

Und was wir brauchen, das sind mehr Feste, mehr Freude, mehr Ausgelassenheit, mehr kollektive Entgrenzung. So jedenfalls sieht es das Hätschelkind der neuen Tourismustheorie, Christoph Hennig, auf den Spuren der Reisemotive: „Das Reisen gibt zumindest einen Abglanz jener ganzheitlichen Erfahrung, die einst in Festen und Ritualen möglich war.“ Wir reisen unseren Mythen hinterher, meint Hennig, etwa dem Mythos vom edlen Wilden, von der unberührten Natur. Eingebunden in die touristische Infrastruktur begegnen wir unseren archaischen Regungen, unseren „Mythen des Nichtalltäglichen“ und pflegen unsere kollektive Vorstellung vom Paradies.

Nicht bloß in der touristischen Anlage darf man sich – wie die Pädagogin Wegener-Spöhring – heutzutage angenommen und hofiert fühlen, sondern auch in der neueren touristischen Theorie. Man muß sie einfach gut finden, wie sie so verführerisch auf die versammelten Bilder unserer abendländischen Kultur zurückgreift und tiefsinnig in den Archetypen gründelt. Dieser Einsatz adelt noch jedermanns Kaufentscheidung zwischen Pataya und dem Sightseeing unter Pinguinen. Tourismustheorie heute streut Puderzucker auf Betonburgen, sie versüßt uns die Heimatsuche in Zeiten des Globalisierungtrends.

Daß wir ohnehin alle Nomaden sind und im modernen Tourismus zu unseren Ursprüngen zurückfinden, ist eine andere neue Theorievariante. Denn ist es nicht die Bestimmung des Menschen, umherzuziehen? „Nomaden sind wir alle“, meint die Tourismusfachfrau Romeiß-Stracke im Geiste des Reiseschriftstellers Bruce Chatwin auf Traumpfaden (oder im Sinne des gealterten Enzensberger, der vor Jahren seine Leserschaft mit dem Sinneswandel verblüffte, daß bei der großen Wanderschaft der touristischen Massen irgend etwas Anthropologisches am Werk sein müsse.)

Ethnologen wissen es besser: Nomaden leben in einem eng begrenzten, immergleichen, öden Raum und haben kein größeres Ziel, als fruchtbaren Boden zu finden, um sich niederzulassen. Die Geschichte der Zivilisation ist auch das Bestreben, seßhaft zu werden. Der amerikanische Anthropologe James Clifford schreibt: „Wir müssen uns vor einem postmodernen Primitivismus hüten, der sich in affirmativer Art nicht-seßhafter Kulturen bedient und diese mit dem Etikett ,Nomade' belegt.“ Clifford analysiert, wie ganz unterschiedliche Kulturen in einen Topf geworfen werden, um das modische Nomadentum zu verklären. Das historische Nomadentum muß dafür herhalten, die Mobilitätszwänge globaler Prozesse zu rechtfertigen. Doch postmoderne Theoretiker wollen es so: Tourismus soll aus anthropologischen Grundkonstanten erwachsen sein. Sie denken sich Gesellschaft als einen Naturprozeß. Und uns, die Touristen, als geradezu genetisch konditioniert – selbst wenn wir in einer perfekt inszenierten Konsumwelt landen. Dabei verschwenden sie weder Worte noch Gedanken an die Manipulationen der Branche und die geheimen Verführer aus der Werbewirtschaft, an Konsumrausch und Konsumzwänge.

Moderner Tourismus ist das heimatfühlige Pendant des neuen, gnadenlosen Kapitalismus, der uns entwurzelt in die Welt hinausjagt. Dabei ist er selbst ein Global Player der ersten Stunde.

Fluglinien, Reiseveranstalter, transnationale Hotel- und Restaurantketten sind seit Jahren auf vielfältigste Weise miteinander verflochten. Schrittmacher der vertikalen Konzentration waren vor allem die Luftverkehrsgesellschaften. Derzeit engagieren sich immer mehr Großbanken und transnationale Mischkonzerne in der Tourismuswirtschaft. „Die zunehmenden Verflechtungen im internationalen Tourismus widerspiegeln einen typischen Globalisierungsprozeß, bei dem Unternehmen für ihren optimalen Produktionsablauf gleichzeitig Raum und Zeit überwinden und sich weltweit den Zugriff auf Angebot (touristische Dienstleistung) und Nachfrage (Reisende) sichern“, schreibt Christine Plüss vom Schweizer Arbeitskreis Tourismus und Entwicklung. Frei flottierend waren sie immer schon, die touristischen Potentiale. Die Unternehmen waren immer auf Suche nach dem schönsten und profitabelsten Strand, dem attraktivsten Berg, dem besten Schnäppchen auf dem universellen Reisemarkt. Inzwischen haben drei große Touristikkonzerne drei Viertel des europäischen Marktes im Griff, zwei davon kommen aus Deutschland: die unanfechtbare Nummer eins, das „rote Lager“, nämlich TUI und Hapag Lloyd (mit dabei: die Westfälische Landesbank und der Preussag-Konzern), und die Nummer drei, das „gelbe Lager“, nämlich Lufthansa und Karstadt samt Condor und Neckermann. Nummer zwei ist die britische Airtours.

Die Aussichten auf weiteres Wachstum sind gut, denn der Pauschalreisemarkt entwickelt sich prächtig – auf Kosten des Individualreisens. Fast jede zweite Reise ist hierzulande eine Pauschalreise. Die vielen Prominenten, die neuerdings auf den Geschmack eines hochklassigen organisierten Urlaubs gekommen sind, dürften neue Zugpferde sein. Tourismus gilt als Arbeitsplatzbeschaffer und krisenfester Wirtschaftssektor. Er ist zur weltweiten Wachstumsbranche Nummer eins aufgestiegen.

Die Touristikfachfrau Romeiß-Stracke bezeichnet die Tourismusindustrie gar als „Leitökonomie der zweiten Moderne.“ Denn gerade der Tourismus stelle zukunftsweisend „neuartige Dienstleistungen“ bereit. Nämlich „ein Ambiente für neue körperlich-seelische Erfahrungen der Menschen“, damit sie „das Wechselspiel von global und lokal in der zweiten Moderne beherrschen“ lernen. Romeiß- Stracke denkt sich Tourismus als „Trainingsfeld für die zweite Moderne“. Und sie denkt diese Zukunft konsequent weiter: Die Hersteller der weltweiten Touristenparadiese sollen sich zu „Sinnproduzenten“ aufpeppen; Reiseveranstalter sollen zu „Agenturen für Lebensgefühl“ werden, deren Mitarbeiter sich als „Traumbegleiter“ begreifen. Denn, so Romeiß- Stracke, die Aufgabe des künftigen Tourismus sei, die „Leiden der Moderne zu kompensieren“.

Kompensation im inszenierten Paradies. Aber lieber Paradies light als gar kein Paradies! Wir, die ruhelosen Nutznießer des Globalisierungsprozesses, machen dabei alle mit. Aus dem Bauch heraus nehmen wir die Angebote der Reiseindustrie an. Natürlich lockt sie uns in erster Linie übers Portemonnaie. Solange sie uns zwei Wochen Dominikanische Republik für 1.500 Mark bietet und das Überwintern in Tunesien preiswerter ist als das Leben hier, hat sie ihr Spiel mit uns ohnehin gewonnen. Doch die Verführungen auf der Gefühlsebene dichten das Geschäft ab. Das funktioniert nach Goethe: Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein. Oder auch: „Uns ist ganz kannibalisch wohl als wie fünfhundert Säuen!“

Der industrialisierte Tourismus ist nur eine Form zu reisen. Aber er hat sich durchgesetzt. Er wird angenommen. Er ist die bequemste, erfolgreichste und gleichzeitig die regressivste aller Reiseformen. Er führt uns reibungslos ins aufbereitete touristische Kleinuniversum, in den vertrauten Kreis der Reisefamilie. Das ist wie heimkommen, sich endlich fallen lassen und hemmungslos konsumieren. Assoziationen von Aktivität, Vitalität, Selbstorganisation, Neugierde, Weltoffenheit, Heraustreten, sich verunsichern lassen, die immer noch bei dem Begriff Reisen mitschwingen, geraten ins Abseits. Wer sich heutzutage noch selbst organisiert, sich bewußt reduziert oder sogar von der Kunst des Reisens redet und dabei die eigene Fußwanderung von Hamburg nach Göttingen meint und auch noch ins Schwärmen kommt über die Exotik der Provinz, gilt als Snob oder als Wurzelsepp. Wen das Fremde noch wirklich interessiert, gilt als hoffnungsloser Romantiker. Wer Differenz will, wo Eintönigkeit vorprogammiert ist, wird als anspruchsvoll, geradezu elitär gesehen.

Alle Formen des selbstbestimmten Reisens wirken heute verstaubt gegenüber dem nach allen Regeln der Marktwirtschaft ausdifferenzierten Konsumtrip. Ob wir wollen oder nicht, wir dürfen überall zu Hause sein in einer Welt, in der unsere Mythen vom Paradies und den edlen Wilden auf Fototapeten gebannt sind. Unsere Phantasie wird gekitzelt, aber gleichzeitig nachhaltig begrenzt, denn die Räume sind auf geradezu anmaßende Weise besetzt von dem, was sich ökonomisch verwerten läßt. Und das kommt nur allzuoft piefig daher. Gefühlsmäßig angekickt werden wir zu willigen Erfüllungsgehilfen von großindustriellen Profitinteressen. Das grenzt an „Terror der Ökonomie“, so derSlogan der französichen Erfolgsautorin und Kapitalismuskritikerin Vivian Forrester.

Warum sollte man sich noch die Freiheit nehmen, als Individualreisender im Dickicht von Kairo ein Hotelzimmer zu suchen, wenn man vor dem Flughafen auch den vollklimatisierten Bus haben kann? Warum ins pralle Leben reisen, wenn die „Exoten“ auch auf Fingerschnippen für uns tanzen? Warum in die Niederungen einer anderen Gesellschaft eintauchen, wenn wir deren Höhepunkte frei Haus geliefert kriegen? Warum Neues erleben, wenn wir eigentlich nur zu uns selbst kommen wollen? Müssen? Sollen?

Christel Burghoff ist freie Autorin und lebt in Frankfurt.

Andreas Herzau ist freier Fotograf in Hamburg. Seine Schwerpunkte sind die Bebilderung von Reportagen und Essays.

Edith Kresta ist Redakteurin der taz für Reise und Interkulturelles.