Die stille Sehnsucht nach Opposition

■ Die Grünen wirken schon nach einem halben Jahr in der Regierung verschlissen. Als Fischer-Wahlverein haben sie erst recht keine Chance

Was bedeutet Lafontaines Rückzug für die Grünen? Dort befürchtet man das Schlimmste. Warum eigentlich? Auf der Wahlebene müßte doch ein Vorteil entstehen, wenn nur noch eine Partei, die Grünen, uneingeschränkt für die Koalition eintritt. „Wer Rot- Grün will, muß Grün wählen“, hieß der erfolgreiche Slogan. Dies wäre, nach Abgang des – seit 1990 – rot-grünen Hoffnungsträgers Lafontaine, wahrer denn je.

Aber auch diese Logik stimmt nicht mehr. Rot-Grün, ein schnell verbrauchter Mythos, ist für immer weniger Wähler ein Versprechen, es sei denn, das Bündnis kann neu begründet werden. Wichtiger aber ist, daß eine Regierungspartei nach ihren Leistungen in der Regierung beurteilt wird. Die Krise der Grünen war schon vor Lafontaines Abgang eine Krise der Regierungsgrünen, nicht der außerparlamentarischen Parteiorganisation. Diese Krise wird sich, mit Schröder allein gelassen, verschärfen.

Die Schwäche des grünen Regierungssektors läßt sich bis auf die Koalitionsbildung zurückführen. Die beiden Grünen, die eine ungewöhnliche Macht zur Vorwegentscheidung hatten, Fischer und Trittin, müssen sich die falschen Weichenstellungen anlasten lassen. Mit Joschka Fischer sitzt der richtige Mann im falschen Ministerium, mit Jürgen Trittin der falsche Mann im richtigen Ministerium.

Joschka Fischer erfüllt sich seinen Lebenstraum: Er wird Außenminister (überall postmoderne Individualisierung). Dies war keine strategische Entscheidung im Interesse der Grünen, aber eine Entscheidung mit strategischen Folgen. Außenpolitik ist in diesen Zeiten kein Feld zur Profilierung von Reformpolitik wie nach 1969, also betreibt Fischer sie überparteilich und erklärt, es gebe keine grüne Außenpolitik. So nützt seine gute Amtsführung den Grünen nichts.

Joschka Fischer ist der einzige Grüne, der in direkter Konfrontation Gerhard Schröder erfolgreich Paroli bieten könnte, säße er in einem Ministerium für Umwelt- und Zukunftsfragen und wäre er damit der Steuermann des innenpolitischen Regierungsmanagements der Grünen. Nun sitzt im Umweltministerium ein Mann, der die Grünen der 80er repräsentiert: verbotspolitisch, programmformalistisch, besserwisserisch-aggressiv. Und ein Management grünen Regierens findet nicht statt.

Schlimmer noch: Joschka Fischer ist nicht präsent, will aber wie zuvor die Richtung der Grünen vorgeben. Kein Wunder, daß das zu Fehlern führt. So zuletzt die Kampagne wegen der Strukturreform gegen seine Partei (ja sogar, wie er selber sagt, zu 99 Prozent gegen seine eigene Strömung, die Realos).

Natürlich haben die Grünen eine verquere Organisationsstruktur. Aber sie haben sie vor kurzem, bei geringfügigen Änderungen, mit Zweidrittelmehrheit bekräftigt. Die Grünen heute durch Strukturreform nach vorne zu bringen, geht an den Interessen der Wähler und den Möglichkeiten der Partei vorbei. Vor allem sitzt man dabei einer Organisationsfixierung auf, wie jene, die sich hinter dem basisdemokratischen Verschnitt heutiger Formalstruktur als dem letzten Symbol grüner Identität scharen. Würde solche Strukturreform, kostenreich, durchgesetzt, sie brächte fast nichts.

Fischers Erfurt-Kampagne war strategisch so abwegig, daß man – zur Psychologie gezwungen – an eine Entlastungsoffensive Fischers denken muß, die andere Schuldige für die Misere der Partei sucht. Trittin tut es ihm nach, er stempelt die SPD ohne Lafontaine zum Sündenbock.

Was zunächst als Durchsetzung grüner Prinzipien gefeiert wurde (atomfreie Energiepolitik, demokratisches Staatsbürgerschaftsrecht, Ökosteuer) und schrittweise konkretisiert werden sollte, ist schon nach einem halben Jahr als Geschäftsgrundlage grünen Regierens reichlich verschlissen. Die grünen Einflußmöglichkeiten für die zweite und dritte Stufe der Ökosteuer sowie die präzisen Modalitäten eines Atomausstiegs sind denkbar schlecht. Neben Fehlern der Grünen selbst liegt das an der Grundkonstellation: Die SPD hat, vor ihrer Rückkehr in die Opposition, noch zwei Optionen, die Grünen keine. Trittins schwarz-grüne Phantasien bestätigen dies in ihrer Hilf- und Phantasielosigkeit nur. Zu Recht höhnt die CDU über solche Grüne.

Die Gefahr eines Koalitionsbruchs in ein bis zwei Jahren ist deutlich gewachsen, kein Lafontaine kann Schröder mehr bremsen. Die Neigung von Grünen, in die Opposition zu gehen, wird in dem Maße (weiter) wachsen wie die Bereitschaft Schröders, sie dorthin zu schicken. Seit Adenauers verächtlichem Umgang mit der FDP in den 50ern gab es keine Politik mehr des großen gegenüber dem kleinen Koalitionspartner, die derart auf Verschleiß statt auf Erhalt angelegt ist, wie die von Schröder gegenüber den Grünen.

Es entspricht einem traditionellen grünen Reflex, Schröder des Verrats an Rot-Grün zu bezichtigen, aus der Abgrenzung zu ihm Profit zu schlagen. Da wird es eine Überbietungskonkurrenz zwischen SPD-Linken, Grünen-Linken und PDS geben. Vielleicht liegt es im Gesamtinteresse der Grünen, daß da jemand von ihnen mitbietet (mit einer inhaltlicheren Argumentation als Trittin). Über die Zukunft der Regierung wird das aber nicht entscheiden.

Die Schweigespirale arbeitet gegen Rot-Grün. Die Grünen haben Mühe zu sagen, wofür sie in dieser Regierung stehen. Also wächst die Tendenz zum Schweigen. Die schon Schweigenden entmutigen die noch Unterstützungsbereiten.

Joschka Fischer kann jetzt das Ressort nicht wechseln, Jürgen Trittin wird seinen Regierungsstil kaum ändern, Andrea Fischer ist fast qua Amt auf den Plusminusnullbereich verwiesen.

Die Grünen müssen andere Wege suchen. Zum Beispiel eine Profilierung auf Schröders Feldern. Das sind die Steuer-, Finanz-, Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Rentenpolitik. Hier könnten die Grünen erkennbar werden als die einzige Partei, die Selbstverantwortung, soziale Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit und Bürgerrechtsengagement verbindet. Als Partei modernisierungskritischer Modernisierer der linken Mitte, mit einer sozialliberal- ökologischen Mitte und einer linken Minderheit. Ihr Denken des inneren Zusammenhangs dieser Werte müßte auf einen Begriff gebracht werden, der ihren alten und neuen Anhängern Orientierung geben könnte.

Als Fischer-Wahlverein jedenfalls haben sie keine Zukunft. Und als Trittins einzige Reformpartei mit einer heimlichen Sehnsucht nach Opposition schon gar nicht. Joachim Raschke