Fusselig und flechtig wie das Leben

■ Wie Schoko-Crossis: Kaum sind sie da, sind sie auch schon wieder weg, die Kurzzeitausstellungen „Kurzschluss“ von Bremens HfK-Studenten im Viertel

Jeder Freund des Hollywoodfilms weiß es: Die Essenzen des Lebens, das sind Liebe und Tod. Und Bauchnabelfussel, würde Jörg Bloem vermutlich zwischenrufen. Denn erstens gibt es mindestens genauso viele verschiedene Varianten von Bauchnabelfusseln wie es Liebes- und Todesarten gibt, und zweitens bündelt sich in ihnen ein Stückchen Lebensgeschichte: An Tagen, an denen sich mensch auf lila Teppichböden herumwälzt weisen Bauchnabelfussel eine gänzlich andere Qualität auf als an Tagen, die er in weißen Betten oder bei der Arbeit oder in Schwimmbädern hinter sich bringt. Das wissen übrigens nur Besitzer kräftiger Bauchbehaarung. Denn nur wenn der Nabel durch einen Haarwald von feindlicher Umgebung abgeschottet ist, kann es zum Tatbestand der Bauchnabelfusselbildung kommen. Ein paar Exemplare sind derzeit in der Kurzzeitgalerie „Kurzschluß“ zu sehen. Eine Art intimes Tagebuch Jörg Bloems.

Zur Erinnerung: Einen – nämlich just diesen – Monat lang hat HfK-Prof Rolf Thiele die untere Etage seiner Behausung im Viertel an seine Studenten ausgeliehen. Die schleusen nun in einem Parforceritt eine Unmenge von Künstlern durch. Zwei Ausstellungen gibt es jede Woche. Dies schnellebige Treiben im ehemaligen Waschmaschinengeschäft wollen sie keinesfalls als etwas andere Form von Galerie verstanden wissen, sondern als „Projekt“. Da legen sie allergrößten Wert auf Genauigkeit. Denn es sollte nicht nur um Kunstkonsum gehen, sondern um Begegnung. Das, so sagen sie, ist gelungen und auch wieder nicht. In kürzester Zeit meldeten sich Riesenhorden interessierter Künstler, nicht nur aus Bremen, sondern auch aus Hannover (zu sehen ab 23.3.), Berlin (ab 27.3.) oder Karlsruhe. Die Schallmauer zum Bremer Normalbürger konnte aber kaum durchbrochen werden. „Als wir hier ein bißchen herumwerkten, blieben viele Passanten neugierig stehen. Die fragten sich wohl, was nach den Waschmaschinen hier Spannendes rein kommt. Als erkennbar wurde, daß es nur Kunst ist, flaute das Interesse ab.“

Daraus muß man schließen, daß Bremer Passanten hochgradig doof sind. Denn was in dem großen, fast nackten Raum zu erkennen ist, dünkt uns nichts weniger als eine Art Bremer Schule. Jörg Bloem ist nämlich nicht der einzige, der Lebensspuren dort aufsammelt, wo man sie nicht vermutet. Schon letzte Woche war eine Arbeit hier zu Gast, die die großen Wunden, die das Leben schlägt, links liegen ließ. Die kleinen Kratzer, etwa durch fahrlässigen Umgang mit dem Eßbesteck oder alltägliche Rempeleien mit Tischen und Stuhlbeinen, waren das Thema.

Auch Rolf Gesing zeigt Interesse an kleinen Beschädigungen: einem kleinen schuppenflechtigen Fleck am Kopf, eine kleine Narbe. In guter alter Wiener-Aktionismus-Tradition erfreut er sich überdies an weniger feinen Ausscheidungsformen, Scheiße und Pisse. Auf seinen Fotos sehen diese Dinge plötzlich liebreizend aus. Vor allem wird dies verfemte Zeug aber nobilitiert durch edle Begriffsfindungen. Das Wort „Champagnerweiß“ gesellt sich freundlich zur Schuppenflechte. Und in der Tat sind die Ränder der einzelnen Krustenplatten von der lichten Strahlkraft des Meerschaums oder eben Champagners. Des weiteren verarbeitet Gesing Fingernägel, Urin, Haare zu Farben und zeigt so das künstlerische Potential (zumindest einen Teil davon), das laut Beuys in jedem Subjekt schlummert. Schließlich machten schon unsere Vorfahren Farbe aus Pflanzen, Schnecken...

Auch Christiane Fichtner notiert und fixiert Leben auf interessanten Umwegen. Auf ein paar Walkmen kann der Besucher den Soundtrack zu zwischenmenschlichen Begegnungen hören, die Musik, die sie am 15., 17., 19. etc März hörte, als sie mit Rainer, Uwe, Ernst etc zusammen war. Diese subjektiven Querschnitte aus noch subjektiveren Plattensammlungen sind wohl persönliche Porträts von Bekannten. Was sind das für Menschen die gleichzeitig Gefallen an stupiden bayerischen Protestsongs und elaborierter Klassikavantgarde finden? Die Arbeit ist aber auch ein tagebuchartiger Rettungsversuch flüchtiger Tage, vielleicht die beseeltere Variante zu On Kawaras nüchternen Datumstafeln.

Vieles funktioniert hier autobiographisch, vieles über den Körper. Aber nicht wie bei Saatchis Brit Art über die harten Themen sex&crime, sondern viel fusseliger und flechtiger. bk

Wulwestr 1, gleich neben dem Penny. Nur noch heute, 12-20h. Vernissage der nächsten Gruppenausstellung am 23. 3., 20h.