Indonesien hat einen neuen Unruheherd. Die ungeheure Grausamkeit, mit der in der Provinz Westkalimantan die alteingesessenen Dajaks und Malaien auf zugewanderte Maduresen losgehen, zeigt: Nie zuvor war die Einheit des Inselstaates so bedroht Aus Jakarta Jutta Lietsch

Ureinwohner erklären Jakarta den Krieg

Als Banden grölender Männer mit Speeren, Macheten und Sicheln bewaffnet vorbeiziehen, schaut die indonesische Armee nur hilflos zu. Triumphierend recken aufgeputschte Männer vom Volk der Dajak und der Malaien die abgehackten Köpfe ihrer maduresischen Gegner in die Luft. Soldaten und Polizisten wagen es nicht einzugreifen, als die Menge immer neue Opfer sucht: In der indonesischen Provinz Westkalimantan auf der Insel Borneo ist in diesen Tagen die staatliche Ordnung völlig zusammengebrochen. Rund 200 Menschen sind hier seit letzter Woche ums Leben gekommen: erstochen und erschlagen, zerstückelt und verbrannt. Tausende Häuser gingen in Flammen auf. Mehr als 11.000 Menschen flohen inzwischen aus ihren Dörfern.

Radikale Islamisten rufen auf zum „Heiligen Krieg“

Mit ungeheurer Grausamkeit explodierte in der Region um die Stadt Sambas nahe Pontianak ein Konflikt, der auch in anderen Teilen des Vielvölkerstaates gärt: der Kampf um wirtschaftliche, politische und kulturelle Rechte zwischen Ureinwohnern und Zuwanderern aus anderen Regionen. Auf Kalimantan haben sich Dajaks und Malaien gegen die Neusiedler von der Insel Madura verbündet.

Noch nie in den letzten dreißig Jahren schien die Einheit Indonesiens so bedroht wie jetzt. Der Funke der Gewalt springt immer leichter auf andere Teile des Landes über. Erst vor wenigen Tagen gelang es der Armee, die schweren Unruhen in Ambon auf den Molukken einzudämmen, die über 200 Opfer gefordert hatten.

Anders als in Westkalimantan jedoch, wo animistische und christliche Dajaks gemeinsam mit muslimischen Malaien gegen muslimische Maduresen kämpfen, erschien der Konflikt in Ambon als Religionskrieg. Dort brannten Kirchen und Moscheen, die Menschen gingen mit Schlachtrufen wie „Für Jesus!“ oder „Allah ist mächtig!“ aufeinander los. Schon fordern radikale islamistische Studenten 2.300 Kilometer entfernt in der Hauptstadt Jakarta den „Heiligen Krieg“. Freiwillige brennen darauf, auf den Molukken und anderswo ihr Leben für die Glaubensbrüder einzusetzen.

Die Folge: Vor den ersten demokratischen Wahlen seit über vierzig Jahren am 7. Juni werden Religion und ethnische Zugehörigkeit zur gefährlichen Waffe im politischen Kampf. Zum ersten Mal seit den fünfziger Jahren scheint die Einheit des 210-Millionen-Einwohner-Landes bedroht. Schon warnen Politiker wie der Oppositionelle Amien Rais vor einem „indonesischen Jugoslawien“.

„Niemals zuvor haben sich die Leute wegen ihrer Religion gegenseitig angegriffen“, klagte Armeechef Wiranto, dessen Truppen dem Morden und Wüten in Ambon und auf Kalimantan tagelang hilflos zusahen. Zwar stimmt die Behauptung des Generals nicht – schon früher gingen Kirchen und Moscheen in Flammen auf. Doch seit dem Ende des Suharto-Regimes im Mai 1998 brennt es immer wieder an allen Ecken des Landes.

Der frühere Präsident hatte religiöse und ethnische Konflikte mit Hilfe der Armee rigoros unterdrückt. Als ideologisches Fundament diente die Staatsdoktrin „Pancasila“, die eine Gleichberechtigung verschiedener Religionen und Völker postulierte. Suharto rechtfertigte seine 32jährige autoritäre Herrschaft nicht zuletzt damit, daß Indonesien sonst niemals zu einer Nation zusammenwachsen könne. Zudem waren wichtige natürliche Reichtümer wie Öl, Gas, Kupfer und Holz höchst ungleich in einigen Provinzen wie Irian Jaya, Aceh und Ost- Kalimantan verteilt – Grund genug für das Regime in Jakarta, jede Autonomiebestrebung im Keim zu ersticken.

Doch unter der Oberfläche wuchsen die Spannungen. Wie auf den Molukken, die noch vor kurzem als Musterbeispiel für ein harmonisches Zusammenleben verschiedener Kulturen und Religionen galten. Auf den berühmten Gewürzinseln lebten die Nachfahren arabischer und europäischer Händler, deren islamische und christliche Riten sich mit lokalen Bräuchen mischten.

Im Zuge des „Transmigrasi“ genannten Umsiedlungsprogramms lockte die Regierung in Jakarta in den vergangenen zwei Jahrzehnten Millionen Menschen aus ihrer dichtbesiedelten Heimat Java, Sumatra oder Madura auf die weniger bevölkerten Inseln. Die meisten Umsiedler waren Muslime. Sie landeten vor allem auf Kalimantan, Irian Jaya, Ost-Timor und den Molukken, wo meist Christen und Animisten lebten. In den achtziger Jahren kamen zudem 50.000 muslimische Neusiedler allein aus Süd-Sulawesi nach Ambon.

Soziale Konflikte blieben nicht aus. „Die Zuwanderer übernahmen Handel, Kommunikation und Transport. Mit ihren besseren sozialen und wirtschaftlichen Kenntnissen drückten sie die Einheimischen an die Wand“, sagt der Vorsitzende der nationalen Menschenrechtskommission, Marzuki Darusman. Zum großen Zorn vieler Molukker besetzte Suharto in seinen letzten Regierungsmonaten auch noch den Gouverneursposten sowie andere wichtige Ämter der Provinz mit Muslimen. In vielen Orten gerieten Christen in die Minderheit. Der Unmut explodierte schließlich als Streit zwischen Religionen und Völkern.

Seitdem mit Präsident Habibie ein liberalerer und zugleich schwächerer Präsident ans Ruder kam, wird deutlich, wie hoch der Preis der Politik Suhartos war – nicht nur auf den Molukken, auf Kalimantan und in Ost-Timor. Die befreite Presse berichtete von Massakern des Militärs in Aceh auf Nordsumatra und vom brutalen Kampf der Armee gegen die Bewegung „Freies Papua“ in Irian Jaya.

Nun stemmt sich die Regierung mit aller Macht gegen den wachsenden Unmut in den Außenregionen. Aus Furcht, das Reich könne auseinanderbrechen, will Jakarta alle Völker fest an sich binden – außer der früheren portugiesischen Kolonie Ost-Timor, die bald in die Unabhängigkeit entlassen werden könnte. Nur etwas mehr Selbstverwaltung und einen größeren Anteil an staatlichen Geldern sollen die Provinzen erhalten.

„Wir sind eine Nation, und niemand darf sie spalten“

Einige Völker verlangen mehr Autonomie, andere wollen die Unabhängigkeit. „Niemals, niemals, niemals werden wir das zulassen!“ ruft Dewi Anwar Fortuna, außenpolitische Beraterin von Präsident Habibie. „Wir haben eine gemeinsame Geschichte als holländische Kolonie, und wir sind eine Nation geworden, die niemand spalten darf.“ Darin ist sie sich mit Oppositionspolitikern wie Megawati Sukarnoputri und Amien Rais einig, die zu den aussichtsreichsten Kandidaten bei den Wahlen im Juni zählen. „Wir dürfen die Grundlagen unserer Nation niemals in Frage stellen“, sagt Amien Rais. „Dafür müssen wir kämpfen, bis an unser Lebensende.“