Ghetto: Endstation für Verlierer?

Ghettos gibt es in jedem Land. Nur starke Kinder haben eine Chance. Das, was aus der amerikanischen und afrikanischen Literatur zu uns kommt, klingt viel schonungsloser als das, was wir aus Deutschland kennen  ■ Von Peter Huth

Für eine „Hand voll Dollar“ zu sterben, ist kein Problem im Schwarzenviertel von Washington. Alle Menschen dort haben etwas den Überblick verloren, die Werte sowieso. Sie sind gescheitert. Keiner hilft ihnen. Mom kämpft noch. Sie ahnt, daß der weiße Freund ihres Sohnes gefährlich ist. Weißer Dreck, der nicht ins Haus darf, obwohl er kein Zuhause hat. Der blinde Großvater hält das für einen Fehler. Sein dreizehnjähriger Enkel Red Bull treibt sich deshalb auch draußen herum. Aber er kann sich nicht durchsetzen, zu sehr lebt er in der Vergangenheit. In den glorreichen Zeiten des Kampfes gegen die Apartheid. Sein Enkel kann das nicht mehr hören. Was hat es ihm gebracht, daß er im Bus sitzen kann, wo er will, aber kein Geld für eine Fahrkarte hat. Während seine Mutter durch Putzen alle am Leben erhält, versucht er seinem Freund, der in einen Dealerkrieg verwickelt ist, das Leben zu retten. So wird auch er schuldig. Er mordet, um zu helfen. Die Angst vor dem Kinderknast hat nichts verhindern können, wie auch? Eine Geschichte, die einen hilflos entläßt.

Doris Gercke: „Für eine Hand voll Dollar“, Elefanten Press, ab 12 Jahre, 26,90 DM.

So swingt das Leben wie im Musical

Eigentlich hat Seraki keine Künstlerkarriere im Kopf. Statt dessen steht da ein roter Sportwagen, und ein richtiges Haus, statt einer Wellblechhütte. Da ist es nur logisch, daß er einem roten Sportwagen an einem Lkw hängend folgt. Er landet eher wider Willen auf einem Casting und darf vorsingen. Der Fahrer des roten Autos ist Mosake, ein Musicalmacher. Seraki wird genommen.

Und weil er nun Geld verdient, kann er einiges anpacken. Zum Beispiel Gangster bezahlen, die ihm dafür ein Treffen mit seinem inhaftierten Bruder organisieren. Seraki zeigt den Leuten, was in ihm steckt. Er wird selbstbewußter, sein Leben swingt wie das Musical. Seine Eltern sind stolz auf ihn: Er ist der Junge aus Soweto, der singen und tanzen kann wie Michael Jackson.

Atemberaubend geht es weiter aufwärts. Der Broadway ruft. Doch die heile Welt des Musicals bekommt Risse. Mosake verändert sich immer mehr zum tyrannischen Ausbeuter seiner Truppe. Mit Peitsche und Krokodilzauber versucht er, die Kinder in Schach zu halten. Doch Seraki hat gelernt, sich gegen Gewalt zu wehren. Er verhilft der Truppe zu ihrem Recht. Die Unterdrückung hat verloren. Am Broadway wie zu Hause. Nelson Mandela kommt frei und mit ihm Serakis Bruder. Ein wunderschön lebendiges, spannendes Buch mit swingendem Happy-End.

Michael Williams: „Crocodile burning“. Peter Hammer Verlag, ab 12 Jahre, 24,80 DM

So frisch und sauer wie eine Zitrone

Auch diese Geschichte stammt aus einem amerikanischen Ghetto. Sie ist geschrieben wie ein langer Dialog in Versform, was sie sehr dynamisch macht. Zwei Welten prallen aufeinander. Die siebzehnjährige Jolly mit ihren zwei kleinen Kinder und das vierzehnjährige Mädchen La Vaughn. Sie hat eine Babysitterstelle gesucht, um ihr College finanzieren zu können. Sie will raus aus dem Ghetto. La Vaughn ist entsetzt, in wieviel Dreck und Armut die Kinder leben müssen. Sie erlebt, wie Jolly immer wieder Opfer von Gewalt wird und beschließt, die drei irgendwie da raus zu holen. Fast geht es über ihre Kraft. Sie streiten sich heftigst, doch sie sind auch ausgelassen, lachen, bis die Tränen kommen. La Vaughn bleibt auch, als sie kein Geld mehr bekommt und ihre Schulleistungen nachlassen. Sie liebt die Kinder. Sie kämpft für die Kinder. Sie findet eine Lösung. Jolly muß wieder zur Schule. Sie traut sich nicht. Doch La Vaughn bleibt hart, drangsaliert Jolly mitleidlos, bis diese einwilligt. Keine Entschuldigung läßt sie gelten. Keck, frech, mit Liebe, aber ohne Mitleid setzt sie sich durch, bis Jolly den ersten Schritt heraus aus dem Elend machen kann.

La Vaughn hat sich selbst um ihre Stelle und ihre Freundschaft gebracht. Sie wird nicht mehr gebraucht. Sie sieht es mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Das verblüffendste an diesem Buch ist, daß es trotz aller Probleme so leicht und frisch daherkommt. Wie eine Zitrone eben, hübsch, aber sauer.

Virginia Euwer Wolf: „Wenn dir das Leben eine Zitrone gibt, mach Limonade draus“. Hanser Verlag, ab 12 Jahre, 24,10 DM

So trügerisch wie in jedem Krimi

Schwerer wiegt „Wer tötete Jimmy Valentine“ aus Südafrika. Der Krimi spielt im Taxifahrermilieu, vordergründig bekämpfen sich zwei Taxiunternehmen. Sie scheinen gegenseitig ihre Kinder umzubringen. Eines davon ist Jimmy Valentine, der sich längst seinem ungeliebten Stiefvater entzogen und im Township einen Chor aufgebaut hat. Er ist der Hoffnungsträger für ein besseres Leben. Ein erfolgloser weißer Polizist soll den Fall klären. Doch weil der Tod von Jimmy alle etwas angeht, will man auch einen weißen Polizisten unterstützen. Und wie bei allen Krimis: Die erste Lösung die falsche. Dieses spannende Buch, zeigt, wie Gewaltspiralen entstehen und enden.

Michael Williams: „Wer tötete Jimmy Valentine?“ Alibaba, ab 16 Jahre, 20 DM.