Krieg vor der Haustür macht dem Nato-Neuling angst

■ Ungarn hält sich im Kosovo-Konflikt zurück. Grund sind die Landsleute in Nordserbien

So hatten sich die Magyaren ihre nordatlantische Integration wohl nicht vorgestellt: Am 12. März wurde Ungarn offizielles Nato-Mitglied – zwei Wochen später Frontstaat zu einem Kriegsgebiet. Bei der Aufnahme des Landes in das westliche Verteidigungsbündnis sprachen ungarische Politiker einmütig davon, daß die langfristige Sicherheit Ungarns endlich gewährleistet sei. Seit die Nato Jugoslawien bombardiert, müssen sie die besorgte Öffentlichkeit täglich beruhigen: Die jugoslawische Armee werde Ungarn nicht angreifen, versichern Regierung und Opposition gleichermaßen.

Dabei steht ein Agriffsziel in nur neunzig Kilometer Entfernung von der serbischen Grenze: Die US-Luftwaffenbasis Taszar in Südwestungarn. Sie ist Außenstützpunkt der US-Friedenstruppen für Bosnien, zur Zeit aber auch freigegeben als Basis für Kampfflugzeuge und Militärmaschinen, die über Jugoslawien fliegen.

Kein Wunder, daß der südwestungarische Land- und Luftraum derzeit eines der „bestgesicherten Grenzgebiete in Europa“ ist, wie ein Sprecher der ungarischen Armee sagt. Ihre Strategen fürchten vor allem Terroranschläge, einen militärischen Angriff der jugoslawischen Armee halten sie für unwahrscheinlich. Dennoch ist die Öffentlichkeit beunruhigt: Drei Viertel aller Ungarn glauben, daß ihr Land in einen Konflikt hineingezogen werden könnte.

Hintergrund dieser Angst ist nicht nur, daß Ungarn das einzige Nato-Land mit einer Grenze zu Jugoslawien ist. Schon während des Bosnien-Krieges fielen mehrmals versehentlich serbische und kroatische Bomben auf ungarisches Territorium und Kampfflugzeuge verletzten den ungarischen Luftraum. Ungarn war zudem Durchgangs- und Aufnahmeland für Tausende Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien. Bisher ist ein neuer Ansturm von Flüchtlingen noch ausgeblieben – über die letzten Monate hinweg suchten lediglich einige tausend Menschen aus Jugoslawien Schutz in Ungarn. Doch damit sind die bestehenden ungarischen Aufnahmelager vorerst voll.

Hinzu kommt für Ungarn das Minderheitenproblem: In der nordserbischen Wojwodina leben neben anderen Minderheiten auch 500.000 Ungarn. Seit Jugoslawiens Präsident Milošević die Autonomie in der Region 1990 abschaffte, bemühte sich Budapest immer wieder um das Wohlergehen der Wojwodina-Ungarn – erfolglos. Nach dem Kosovo, glauben viele Ungarn in der Wojwodina, seien auch sie an der Reihe. In diesem Fall wäre Ungarn mit einem Abwandern der Minderheit aus der Wojwodina konfrontiert.

Mit Rücksicht auf die Nähe zu Serbien und aus Angst vor Repressionen gegen die ungarische Minderheit hat die national-konservative Budapester Regierung schon lange eine vorsichtige Haltung im Kosovo-Konflikt eingenommen. Ende Februar kündigte Ministerpräsident Viktor Orban an, daß Ungarn an Militär-Aktionen gegen Jugoslawien nicht teilnehmen werde, nicht einmal mit technischen oder anderen Hilfstruppen. Ungarn stellte der Nato letzte Woche lediglich seinen Luftraum und seine Flugplätze zur Verfügung. Zugleich forderte Orban Serbien auf, keine Wojwodina-Ungarn in den Kosovo-Krieg zu schicken.

Offenbar vergeblich. Das ungarische Staatsfernsehen berichtete in den letzten Tagen über Einberufungen und Deserteure in der Wojwodina. Ein Team des ungarischen Fernsehens wurde daraufhin von serbischen Polizisten zusammengeschlagen und des Landes verwiesen. Die ungarische Regierung droht Jugoslawien nun Embargomaßnahmen an. So könnten etwa die Erdgas- und Stromleitungen gekappt werden. Jede Art von Zusammenarbeit mit Serbien, sagte der Regierungschef Viktor Orban am Dienstag, hänge davon ab, daß es in der Wojwodina keine Probleme gebe. Keno Verseck, Bukarest