„Mit der Nato geht das Sterben schneller“

■ Bilder eines Tages: Zehntausende Menschen versuchen, sich aus dem Kosovo zu retten. Via ARD und albanisches Fernsehen gelangen die Nachrichten nach Deutschland. Sie lösen Angst und Hoffnung aus

Krieg in Jugoslawien. In Deutschland sitzen Kosovo-Albaner vor den Fernsehern, hören Nachrichten und suchen nach einem Bild des Krieges. Meto, 62, Ayshe, 60, Sabrije, 27, Shpresa, 22, leben in Berlin-Wedding. Meto, der Vater, kam vor 30 Jahren nach Berlin, Ayshe, seine Frau, drei Jahre später. In den kommenden Tagen begleiten wir die Familie und fragen, wie sich ihr Leben seit den Nato-Einsätzen verändert hat.

Am vergangenen Sonntag war wieder Kurban Barjam, muslimisches Zuckerfest. Kuchen aus Blätterteig, gehackten Walnüssen und Guß stand auf dem Tisch. Ayshe rief ihre Familie in Pejä an, wenige Kilometer von der albanischen Grenze entfernt. „Mein Vetter sagte mir, die Serben hätten in der Nacht alle Albaner aus den Häusern geprügelt. Sie wurden im Park vor der Militärkaserne zusammengetrieben. Die Männer sonderte man aus und führte sie ab. Die Frauen mußten bleiben, als Schutzschilde, falls die Nato die Kaserne angreift. Am Morgen konnten sie kurz in ihre Häuser, dann wurden sie mit Bussen und in Autos, ohne Nummernschilder, an die albanische Grenze gefahren. Dann haben die Serben die Häuser geplündert und sie mit Flammenwerfern in Brand gesteckt.“ Dies war die letzte Nachricht, die Ayshe von ihrer Familie aus dem Kosovo erhalten hat. Den Zuckerkuchen haben sie nicht angerührt.

Seitdem in Jugoslawien Bomben fallen, gehen Meto, Ayshe, Sabrije und Shpresa kaum mehr vor die Tür. Sie zappen sich durch CNN, ARD, n-tv, albanisches Fernsehen, hören Deutsche Welle und Voice of America. Sehen ausgezehrte Menschen, warten auf ein bekanntes Gesicht. Das albanische Fernsehen läßt den Troß der Flüchtlinge in Zeitlupe laufen. Die Bilder wecken Hoffnung: „Vielleicht sehen wir ja meinen Bruder oder Metos Schwester oder sonst jemanden, den wir kennen, dann wüßten wir wenigstens, daß sie leben“, sagt Ayshe.

Meto wurde in Lluka, einem Nachbardorf von Pejä, geboren. Vor einigen Tagen standen hier noch 150 Häuser. Jetzt weiß er, daß Lluka nicht mehr existiert. Das Fernsehen berichtete, es sei nach Kämpfen zwischen UÇK und Serben in Brand gesteckt worden. „Um unsere Häuser mache ich mir keine Gedanken“, sagt Meto. „Aber wenn ich die leeren und verstörten Gesichter der Menschen sehe, weiß ich, daß die Nato weitere Bomben schicken muß.“ Auch wenn dabei Kosovo-Albaner getötet werden? „Es ist die grausamste Situation, die ich mir vorstellen kann. Aber es gibt keine andere Möglichkeit.“

Ayshe greift nach der Hand ihrer Tochter Shpresa, streicht ihr über die Wange und spricht auf albanisch zu ihr. „Meine Mutter sagt, es gibt sowieso keine Hilfe. Ob Bomben fallen oder nicht. Aber lieber sollen Nato-Bomben unsere Familien im Kosovo töten, als daß die Serben kommen, sie massakrieren und schlachten. Mit der Nato geht das Sterben schneller.“ – „Wir wollen keine Helden aus den Menschen im Kosovo machen“, sagt Meto. „Aber alles, was passiert, spielt Milošević in die Hände.“ Er zählt auf: „Massaker und Flucht laufen darauf hinaus, das Kosovo von Albanern zu säubern. Wenn Italien jetzt Schiffe nach Albanien schickt, um die Flüchtlinge abzuholen, weiß ich, daß sie nie wieder zurück in das Kosovo gehen. Es ist viel zu weit. Für Milošević läuft alles nach Plan: So viele Menschen zu töten, wie es geht, und die anderen vertreiben. Anschließend verstreut die EU sie über ganz Europa. Eine solche Flüchtlingspolitik ist verkehrt. Milošević' Motto würde dank der Hilfe Europas aufgehen: Das Dorf, in dem ein Serbe lebt, ist Serbien.“

Meto will nicht falsch verstanden werden. Den Flüchtlingen muß geholfen werden. „Die EU sollte ihnen in Albanien und Makedonien ein Dach über dem Kopf geben. Jeder, der flieht, will zurück. Das sagen alle Kosovaren.“

Als Meto vor 30 Jahren nach Berlin kam, hatte er genaue Vorstellungen: Seine sieben Kinder sollten in Deutschland ausgebildet werden und nach und nach in das Kosovo zurückgehen. Sein ältester Sohn hielt sich dran, mußte inzwischen aber fliehen. Jetzt lebt er in der Schweiz. Die anderen Kinder sind in der Welt verstreut, nur Sabrije und Shpresa und ein kleiner Bruder sind noch in Berlin. „Wenn ich auf Rente bin, wollten Ayshe und ich gehen.“ Ein Haus hatte Meto in Lluka schon gebaut. Annette Rogalla