Mysterienspiel im KZ

■ Lukas Langhoff inszeniert im Theater am Ufer ein „Modernes Krippenspiel“

Und wenn alles nur Kunst gewesen wäre? Der Holocaust ein perverses Gesamtkunstwerk einiger übergeschnappter Mordsregisseure? Einige krude Verbindungen mögen nationalsozialistische Diktatur und „Ästhetik“ ja eingegangen sein: im verhinderten Maler Hitler mitsamt seinen nibelungischen Größenwahnphantasien, in den Reichsparteitagsinszenierungen, vielleicht sogar in der akribischen Planung des Völkermordes. Aber wohin führt diese greuliche These? Zu einer weiteren Erklärung des Holocausts oder zur Denunziation eines faschistoiden deutschen Geniebegriffs?

Eine beißende Theatervariante zu diesem Gedanken hat der Regisseur Lukas Langhoff bei Ireneusz Iredynski gefunden. Der früh verstorbene polnische Schriftsteller griff 1961 nach jenem Stoff, der auch George Tabori, Joshua Sobol und jüngst Roberto Benigni beschäftigt hat, und verformte ihn zur finsteren Groteske: KZ-Häftlinge proben ein Theaterstück – und zwar ausgerechnet die Weihnachtsgeschichte. Allerdings erzählt diese Version des „Mysterienspiels“ hauptsächlich von den „Säuberungen“, die Herodes unter Säuglingen durchführen ließ.

Langhoff reagiert auf diese teils sarkastische, teils gespenstische Konstruktion zurückhaltend, gedehnt und auf Gesten und Gesichter konzentriert. Gut so. Denn offenbar fällt es schwer, dem fast schon fetischisierten Bild-Inventar zum Holocaust auszuweichen, weshalb auch das „moderne Krippenspiel“ dezent mit verwaisten Schuhbergen, lächerlich-häßlichen Deutschen und pathetischer Violinbegleitung zum Marsch in die Gaskammer operiert. Andererseits lassen die multinationalen Schauspieler des Teatr Kreatur auch jenseits des Textes eine geheimnisvolle, eigenständige Geschichte durchschimmern.

Das Grauen spiegelt sich wider in einer fühlbaren energetischen Ausnahmesituation, in der alle einsam sind: ein Probeleben im Lager als dämmerndes Sterben, bei dem die Gefangenen jenseits des Spiels im Spiel über Zigaretten, Sex und Bestechlichkeit verhandeln. Ab und zu sortiert der Kommandant einen aus; ab und zu kehrt eine geschunden zurück, das Folterblut noch zwischen den Schenkeln. Nur aus der Gaskammer leuchtet gleißendes Licht. Doch schließlich gibt sich der Lagerkommandant als Initiator des Krippenspiels zu erkennen, als Möchtegernkünstler, der sich um der Schönheit willen aufschwingt zum Herrn über Leben und Tod. Freispruch inklusive, denn den Juden schiebt er raffiniert die Erfindung des Verbrechens zu.

Iredynskis Wendung bringt bei Langhoff zwar eine notwendige dramaturgische Zuspitzung, wirkt aber seltsam mutlos drangeklatscht. Wenn im letzten Monolog des Kommandanten Kunst, Religion und Macht zackig zum Verbrechens- und Rachemotiv eines einzelnen fusioniert werden, entstehen zwar schöne, irre Bilder, doch ohne Widerspruch, Erklärung oder Stellungnahme. Der böse Übermensch bleibt singulär und rätselhaft. Eva Behrendt

Theater am Ufer, Tempelhofer Ufer10, weitere Termine ab 16. April, immer Do.–So. ab 20 Uhr