Zurück in die Zukunft

Trotz Renovierung von Fassade, Dach und Bühne: Das Theaterhaus Jena steckt in (s)einer produktiven Krise  ■ Von Hartmut Krug

„Wir kommen wieder“ verheißt das Spruchband am planenverhüllten Theaterhaus Jena. In den vergangenen Schließungsmonaten ist mit Landesgeldern das Notwendigste renoviert worden: Fassade, Dach, Bühnenboden und Unterbühne. Für die Schauspieler gibt es endlich Duschen – und für alle ordentliche Toiletten. Doch während die Sanierung des Gebäudes voranschreitet, kracht es um so heftiger im Ensemble.

Ein „ordentliches“ Theater ist das Theaterhaus Jena nie gewesen und wird es wohl auch in Zukunft nicht sein. Als im November 1991 20 junge Künstler, unter ihnen eine Gruppe von 13 Berliner Schauspielabsolventen und die Regieabsolventen Sven Schlötcke und Horst J. Lonius, mit dem siebenstündigen Spektakel „Wüste-Gegen-Zeit“ das Theaterhaus Jena eröffneten, da bescherten sie Thüringen das neunte Theater und zugleich das erste mit ganz eigenen Absichten und Strukturen. Meist junge Leute waren es, die zu den bisher mehr als 40 Inszenierungen kamen, die gewöhnlich aus einem aktiven Zeitgefühl und aus Improvisationen entstanden. Manchmal rohes, immer aber absichtsvolles, kräftiges Theater, oft zu thematischen Projekten verklammert, häufig von bekannten Regisseuren der freien Szene inszeniert.

Jenas Stadtobere zeigten lange ein gespaltenes Verhältnis zu ihrem so gar nicht dem Bild des traditionellen Stadttheaters entsprechenden Musentempel. Als die anfängliche ABM-Finanzierung auslief, bedurfte es heftiger Kämpfe und der Unterstützung durch das Vorbild Theater an der Ruhr in Mülheim, bis das Theaterhaus Jena im Juli 1993 als gemeinnützige GmbH gegründet werden konnte. Gesellschafter sind die Theaterleute mit jeweils gleichen Einlagen. Stadt und Land finanzieren den Theaterbetrieb mit jeweils etwa 1,3 Millionen Mark. Dafür muß das Theaterhaus als Gegenleistung 175 Vorstellungen und mindestens vier Neuinszenierungen pro Spielzeit erbringen.

Wichtig war den jungen Gründern, die in der Regel direkt von der Schule nach Jena gingen, die Utopie von einer gleichberechtigten Theaterarbeit. Das anfänglich ausgeprägte Mitbestimmungsmodell entwickelte sich dabei zu einem realistischen Mitverantwortungsmodell. Anfangs gab es die wöchentliche „Matrosensitzung“ (das Theaterschiff sollte gemeinsam auf Kurs gebracht werden), es gab Kommissionen für alle möglichen Probleme und Entscheidungen. Neu angekommene Schauspieler mußten ihr Vorspiel vor dem Ensemble leisten. Es durfte nicht nur jeder jeden kritisieren, es sollte sogar jeder sich folgenreich äußern können.

„Wir waren mächtig auf der Suche nach neuen Spielregeln, und es hat auch barbarisch gekracht“, sagt ein Schauspieler im Rückblick und erinnert sich an die erste Spielplansitzung, bei der jeder seine Stücke mitbrachte: 55 konkurrierten da miteinander. Nicht „alle können alles“, aber doch „alle verantworten alles“, alle können ihre Absichten und Ideen einbringen. Der künstlerische Leitungsstab blieb immer der Ensembleversammlung rechenschaftspflichtig, auch wenn sich die faktische Macht des ersteren immer stärker ausprägte. Gegen die Entwicklung zu einem alternativen Intendantenmodell wurden immer wieder neue Strukturmodelle versucht, ein Protokollant und ein Modell „Phönix“ eingerichtet, Transparenz eingeklagt und mit der Reihe „Triebwerk“ ein Forum zur Verwirklichung brachliegender künstlerischer Ideen jenseits der großen Produktionen geschaffen.

Doch alle Bemühungen scheinen vergeblich gewesen zu sein: Die einen beklagen eine dennoch erfolgte Entwicklung zu einer Art Intendantenmodell, die anderen verlangen, diese zu institutionalisieren. Jenseits des Krachs, der nicht nur etwas mit Konzepten, sondern auch etwas mit Personen zu tun hat, zeigt sich an der Entwicklung des Theaterhauses Jena ganz deutlich: Mitbestimmungs- oder Mitverantwortungsmodelle sind harte Knochenarbeit, wenn erst einmal die Begeisterung des Anfangs sich im theatralen Alltagsgeschäft behaupten muß. Die Bewahrung des Anfangsimpulses kann nur durch neue Ideen oder durch neue Leute gelingen.

In Jena gibt es derzeit sehr unterschiedliche Vorstellungen, wie es weitergehen soll. Da steht auf der einen Seite der bisherige künstlerische Geschäftsführer Sven Schlötcke: Er favorisiert das modifizierte Intendantenmodell. Doch als er dies und sich selbst am Theater vorschlug, bekam er dafür und für den von ihm vorgesehenen festen Hausregisseur Albrecht Hirche (Theater Mahagoni) weder vom Ensemble noch von den Gesellschaftern eine Mehrheit. Die Gesellschafter sind der Ansicht, Schlötcke habe das Ensemble nicht zusammengeführt und dem Haus keinen künstlerischen Stempel aufgedrückt. Also bestimmten sie aus ihren Reihen eine Kommission, die eine neue Leitung finden und damit versuchen soll, das ursprüngliche Theaterhauskonzept doch noch zu verwirklichen. Am Theaterhaus Jena, so diese Gruppe, müsse Theater für Jena entstehen, erst dann könne dieses Theater auch international seine ästhetische und politische Wirkung entfalten.

Schlötcke ist gleichermaßen Mülheims Theater an der Ruhr wie Berlins Hebbel Theater verpflichtet: Er will das Theaterhaus Jena mit Gastspielen und Gastregisseuren internationalisieren und hält die Regionalisierungsabsicht der anderen für nicht zeitgemäß. Dagegen werfen seine Gegner ihm einen Hang zum Ereignistheater vor: Sein Theatermodell sei unpolitisch, weil es nicht mit den Zuschauern arbeite und nicht von ihnen ausgehe.

Gegen das Intendantenmodell Schlötcke spricht in der Tat, daß sich der Noch-Leiter nicht als die überragende künstlerische Leitungsfigur bewiesen hat, die sein Modell verlangt. Gegen das Mitverantwortungsmodell spricht die Abnutzungserfahrung in Jena und andernorts. Gebracht hat das Modell Theaterhaus Jena in der Vergangenheit nicht unbedingt großes, aber immer spannendes, sperriges und aufregendes Theater. Da sollte ein Neuanfang mit neuen Idealen schon versucht werden. Und wenn es die alten sind.

Am 9. 4. wird das Theaterhaus Jena mit einer Neuinszenierung von Sebastian Hartmann wiedereröffnet, mit Ernst Tollers „Hinkemann“