Krieg, Flugzeuge etc.
: Catch Kosovo

■ Wie einfach war es noch, Vietnam zu verstehen!

Das Heulen am Himmel über meinem Haus – im Lauf der Jahre ist es fast zur Gewohnheitssache geworden. Nur wenn wieder einmal knallend die Schallmauer durchbrochen wird und die Druckwelle dann Scheiben klirren und Wände wackeln läßt, schrickt man noch auf: Der Luftwaffenstützpunkt läßt grüßen – Übung macht den Meister aus Deutschland. Aber seit auch Kampfjets der Bundeswehr Jugoslawien bombardieren, klingen die Tiefflieger anders. Nicht mehr bloße Lärmbelästigung heult da über mir. Es heult das Echo von Tod und Zerstörung, zwei Flugstunden entfernt. Es heult der Irrsinn.

Joseph Hellers Roman „Catch 22“ handelt von einer amerikanischen Fliegerstaffel im 2. Weltkrieg, deren Kodex als absurde Regel funktioniert: Nur Verrückte können vom Einsatz befreit werden, doch wer die Befreiung vom Einsatz sucht, kann nicht verrückt sein. Als Paradoxon eines Denkens oder Verhaltens, das jeden, egal was er tut, zum Opfer der eigenen Voraussetzung macht, ist der Begriff Catch 22 in die amerikanische Umgangssprache eingegangen. Der deutsche Ausdruck „Wie man's macht, ist's falsch“ trifft den Zwangszusammenhang kaum. Und ich empfinde die unauflösbare Widersprüchlichkeit, die mir beim Nachdenken über den Kosovo-Krieg durch den Kopf geht, als auswegloses Catch 22. Denn auf welcher Seite ich mich auch zu denken, welche Position ich zu verstehen versuche – stets finde ich mich im falschen Lager wieder. Alle haben Recht. Catch 22. Alle haben Unrecht. Catch 22. Ich verstehe die moralische Selbstgewißheit der Clintons und Blairs, Fischers und Scharpings nicht. Aber natürlich muß man Völkermord mit allen Mitteln verhindern. Catch 22. Ich verstehe die rassenwahnsinnige Politik des ethnischen Saubermanns Miloevic nicht. Aber selbstverständlich muß Serbien sich gegen die Aggression der Nato wehren. Catch 22. Catch 22. Ich verstehe die neue Martialität des Günter Grass nicht. Aber moralisch ist er im Recht. Catch 22. Ich verstehe die verhaspelte Märtyrerpose des Peter Handke nicht. Aber wieso soll sich niemand mit der jugoslawischen Bevölkerung solidarisieren dürfen? Catch 22.

Vietnam! Gutes, altes Vietnam ... Da war die ideologische Welt noch in Ordnung. Gut und Böse säuberlich getrennt, klar unterscheidbar. Kein Catch 22. Ich bin gegen die Nato-Angriffe. Catch 22. Ich bin gegen den serbischen Ethno-Imperialismus. Catch 22.

Und wofür? Etwa immer noch für einen Zustand, in dem Politik dafür sorgt, daß Vernunft und Toleranz einkehren? Immer noch für eine Welt, die es nie gab und nie geben wird? Catch 22. Klaus Modick