Die Partei hat immer recht – auch im Krieg

Nur die PDS demonstriert geschlossen gegen Bomben auf Belgrad. Ist das nun Pazifismus oder die Pflege alter Feindbilder?  ■   Von Jens Rübsam

Vor der Christopherus-Kirche zu Friedrichshagen, gelegen im Osten Berlins, trauert seit Tagen allabendlich das PDS-Volk: Die Damen und Herren im gesetzteren Alter tragen ernste Mienen und bunte „Peace“-Buttons, sie zünden Kerzen an und pflegen die Stille – es ist, als suchten sie neuerdings Beistand beim Herrn.

Es erscheint die Pastorin, eine kleine, junge Frau, offenherzig bittet sie herein zum Gebet: gegen den Krieg in Jugoslawien und gegen die Bomben der Nato. Brav folgen ihr die Genossen. Hübsch nehmen sie Aufstellung um den Altar. Aufmerksam lauschen sie den Liedern: „Kyrie eleison“, „Herr, gib uns unseren Frieden“. Geschlossen schweigen sie auch beim „Amen“. „Es ist schon komisch“, sagt die junge Frau Pastorin, „daß zum Mahngottesdienst mehr PDSler kommen als Mitglieder der Kirchgemeinde.“ „Den PDSlern aber“, sagt eine aus der Gemeinde, „nehme ich ihren plötzlichen Pazifismus nicht ab.“

Gotteshäuser waren den Genossen, als sie noch Macht hatten, höchst suspekt: Christen galten als reaktionär, Kirchen als gefährliche Orte, Religionen als nicht päßlich fürs sozialistische Weltanschauungsbild. Frieden war den Genossen, als sie noch jahraus, jahrein für ihn marschierten, nur in schönen Reden heilig: Wer an der Jacke den Aufnäher „Schwerter zu Pflugscharen“ trug, war eine unerwünschte Person, und wer den Kriegsdienst verweigerte, kam ins Militärgefängnis Schwedt. Die Militärpolitik der DDR firmierte unter der Fabel-These: „Der Friede muß bewaffnet sein.“ Die Entsendung ostdeutschen Militärs nach Prag galt 1968 als legitim. Der Einmarsch der Russen in Afghanistan, gut zehn Jahre später, sowieso.

In diesen Tagen: Vor Kirchen und in Theatern, in Gesellschaftshäusern und auf Straßen und erst recht im Internet demonstrieren PDSler Pazifismus. „Wir sind die einzige Antikriegspartei“, heißt es hier. „Vertreibung und Ermordung der Albaner ist humanitäre Rhetorik der Nato“, heißt es da. Mal wird der deutschen Außenpolitik „Antikommunismus“ vorgeworfen, mal der Nato „die Zerschlagung eines der letzten kommunistischen Staaten“, und ein andermal wird die „unbedingte Solidarität, ohne Abstriche und ohne Wenn und Aber, mit dem serbischen Volk und auch und gerade mit Slobodan Miloevic“ gefordert. Auf PDS-Homepages finden sich Friedenstauben und Brecht-Zitate sowie beliebte Erklärungsmuster für die einstige Aufrüstung der Warschauer Pakt-Staaten und für die Militarisierung in den Köpfen der DDRler: „Ein militärisches Gleichgewicht zwischen Nato und Warschauer Vertrag“, so ist zu lesen, „wirkte tendenziell friedenserhaltend“. Autor des Beitrages: Ein ehemaliger Oberstleutnant der DDR-Grenztruppen.

Es ist, als ziehe die PDS in die letzte Schlacht, mit pazifistischen Parolen und der weißen Fahne voran. Die Partei ist ein Club aus Pensionären, die Jungen, die unter dreißig Jahren, machen gerade mal vier Prozent der Mitgliedschaft aus. Vergangene Woche informierte Parteichef Lothar Bisky: 276 Neueintritte seit Ausbruch des Krieges! Schon geht allerorten der Witz um: Wie viele Flüchtlinge aus den Reihen der SPD und den Grünen kann die PDS aufnehmen?

Von dem Bürgerrechtler Konrad Weiß stammt die skeptische Erkenntnis: „Ich glaube nicht an eine Massenbekehrung per Parteitagsbeschluß: Per Parteibefehl vom kämpferischen Atheisten zum Gottergebenen, vom Militaristen zum Pazifisten?“ Das arge Bemühen, sich pazifistisch zu geben, kommt bei der PDS daher wie das Einsammeln von Sekundärrohstoffen. Das Altgut: Friedensbewegte, die orientierungslos in Deutschland umherirren. Die Annahmestelle: PDS-Parteizentrale, Karl-Liebknecht-Haus, Berlin.

Hier sitzen die Genossen, wie Ende vergangener Woche, einträchtig im Konferenzsaal beisammen und halten Gericht über Krieg und Frieden, über Bomben und Politik. Die Luft ist stickig. Eine Dame ringt um Worte. Ein Herr greift zum Wasser. Elmar Schmähling, Ex-Bundeswehroffizier, Ex- Flottenadmiral, Ex-Chef des Militärischen Abschirmdienstes, wird als „Militärexperte“ vorgestellt und outet sich sogleich als „Pazifist“. Das hört sich dann wie folgt an: „Dieser Krieg ist wichtig für das Selbstverständnis der Nato. Eigentlich hat sie ja keine Legitimation mehr.“ Applaus aus der Menge. Fragen und Statements aus der Menge: „Welche Rolle spielt das Ausprobieren von neuen Waffen? Wieviel Druck übt die Rüstungsindustrie aus? Wer kann wollen, daß das Kosovo von Jugoslawien unabhängig wird? Die Absicht der Nato ist doch, auf dem Balkan einzusteigen. Solange Sozialismus auf dem Balkan war, gab es keine kriegerischen Auseinandersetzungen.“ Man will schon notieren: „Tito! Tito!“-Rufe. Doch sie bleiben aus. Man hält statt dessen fest: alte Feindbilder, Nato, Amerika, der Westen.

Die Veranstaltung ist beendet, ein Mann eilt zum Podium, zu Siegfried Bock, dem letzten DDR-Botschafter in Belgrad. Er klopft ihm freundlich auf die Schulter. Er flüstert: „Ich habe künftig nun etwas mehr Zeit. Ich bin bald Rentner. Aber ich möchte aktiv bleiben“, vielleicht im „Verband für Internationale Politik und Völkerrecht“, dessen Präsident Bock ist. „Schön“ sagt Professor Bock zu dem Herrn und lehnt dankend ab, als dieser ihm seine gesammelten Jahrgänge des Neuen Deutschland anbietet. „Wir wissen ja nicht, wohin damit“, sagt er kameradschaftlich, verabschiedet sich und nimmt einen Interviewtermin wahr.

Siegfried Bock ist gefragt, auch bei den Genossen. Er ist PDSler. Er gibt Auskunft über seine Zeit in Jugoslawien und schätzt die Rolle Rußlands in diesem Konflikt ein.

Seniorenfreizeitstätte, Berlin-Mitte, einen Tag später. Siegfried Bock, korrekt gekleidet: Anzug, weißes Hemd, Krawatte, fast noch immer ein wenig staatsmännisch, ist pünktlich. Er schüttelt der Dame, die den Club betreut, die Hand. Man kennt sich. Regelmäßig treffen sich hier Ex-DDR-Diplomaten bei Kaffee und Gedankenaustausch. „Materiell“, sagt Herr Bock, „geht es uns Diplomaten ja nicht schlecht.“ Er nimmt Platz.

Ist es ehrlicher Pazifismus, den die PDS heute zur Schau stellt? „Ich sehe das, was wir in der Vergangenheit falsch gemacht haben. Aber daraus kann man doch nicht den Schluß ziehen, daß wir jede Möglichkeit eingebüßt haben zu sagen: Wir sind gegen Militär und gegen Krieg.“

Der Herr spricht bedächtig, die Worte sind fein gewählt. 17 Jahre war Siegfried Bock bereits im Auswärtigen Dienst der DDR beschäftigt, als 1968 Soldaten zur Niederschlagung des Prager Frühlings in die Tschechoslowakei geschickt wurden. Er nahm das Eingreifen unter „dem Aspekt der Systemauseinandersetzung“ hin, er befürchtete, daß es „einen kapitalistischen Staat an der Südflanke des Sozialismus geben wird“, er hatte dennoch, wie er heute sagt, „ein bißchen Bauchschmerzen“ gehabt. Aber er schwieg. Die Partei hat immer recht.

Resultiert bei vielen PDSlern das Nein zum Krieg aus dem Feindbild Nato, das immer noch tief sitzt? „Das spielt bei vielen sicherlich eine Rolle. Das geht hin bis zu: Man muß auf Teufel komm' raus den Miloevic unterstützen, weil er ein Linker ist, weil er seinen Ursprung hat im Bund der Kommunisten. Ich kenne Miloevic aber als Anhänger der Marktwirtschaft, der auch im Westen ausgebildet worden ist.“

In der Parteizentrale, an jenem Abend voriger Woche. Schweigend saß Siegfried Bock auf dem Podium, als Redner wähnten, der Nato-Angriff gelte einem der letzten Verfechter des Kommunismus. Kein Wort ließ er fallen von der Wahrheit, daß Titos Politik stets bemüht war, Ost und West geschickt auszutricksen, immer zu seinen Gunsten, daß erst dadurch Jugoslawien zu einem recht wohlhabenden Staat wurde. Kein Wort davon. Die Partei hat immer recht.

Von 1988 bis 1990 waren Sie Botschafter in Jugoslawien? Was ist Miloevic für ein Mensch? „In der heutigen Situation meide ich es, etwas gegen Miloevic zu sagen. Es würde dazu ausgenutzt, auf die Seite der Nato-Bombardements gerückt zu werden.“

Sommer 1989: Im Fernsehen verfolgte Siegfried Bock die Rede Miloevic' auf dem Amselfeld, er hatte eine Einladung, natürlich, aber es „war mir zu warm, um dorthin zu fahren“. Er hörte also Miloevic sagen: „Überall wo Serben sind, ist Serbien.“ Es lief ihm „kalt den Rücken runter“. Aber: „Was soll's?“ dachte er sich. Die DDR stand vor dem Aus. Es schickte sich nicht, „in dieser Situation als Besserwisser aufzutreten“. In seinem letzten Amtsjahr führte er das SED-Politbüromitglied Günter Schabowski durch Belgrad. Er sagte zu ihm: „Miloevic führt mit seiner Politik der Liquidierung der Autonomie der Vojvodina und des Kosovo das Land in den Abgrund.“ Doch Schabowski reagierte harsch. „Weißt du denn nicht, wie wichtig und notwendig es ist, solche separatistischen Tendenzen mit allen Mitteln zu bekämpfen.“ Es schien, der Mann aus der DDR-Führungsriege ist erfreut über die Politik des Slobodan Miloevic. Jahrelang war das Verhältnis zwischen DDR und Jugoslawien vor allem aus ideologischen Gründen unterkühlt. Hier der zentralistische Staat, dort der förderalistische. Hier wurden Betriebsdirektoren von der Partei eingesetzt, dort wurden sie von den Menschen in den Betrieben gewählt. Hier wäre dies ein Affront gewesen – gegen die führende Rolle der Partei .

Ist die PDS Kriegsgewinnlerin? „So würde ich das nicht sagen. Ich würde auch nicht Scharping und Fischer als Kriegstreiber bezeichnen. Ob allerdings die Grünen den ganzen Schlamassel überstehen, da habe ich meine Zweifel. Denn worauf basieren noch die Gemeinsamkeiten? Auf dem Pazifismus? Der ist nun weg. Auf dem Atomausstieg? Da muß man erst einmal die ersten Castortransporte abwarten.“

Siegfried Bock verabschiedet sich. Legt seinen langen, feinen Trenchcoat um. Auf dem Weg sagt er: „Es tut schon gut, wichtig zu sein.“ Wichtig sicher auch für die Partei, die „im öffentlichen Ansehen gewinnt, weil sie klar gegen den Krieg ist.“

Ehrlich gegen Krieg? Etliche Genossen bezweifeln, daß es einen pazifistischen Grundkonsens in der PDS gibt. Minderheiten, sagen sie, haben ein Recht, sich zur Wehr zu setzen, wenn es gegen Unterdrückung geht, dann auch mit Gewalt. Was für eine Logik! Noch einmal kommt der Satz des Parteisprechers in den Sinn: „Wir sind die einzige Antikriegspartei.“

Vor der Christopherus-Kirche zu Berlin-Friedrichshagen steht – lange nach dem Mahngottesdienst – noch immer eine Frau. Sie trägt ein Schild: „Hört auf zu töten“. Die Damen und Herren der PDS sind längst gegangen, die Pflicht ist erfüllt, das Gewissen ist im Reinen.

„Man kann niemandem“, sagt die Frau, „ins Herz schauen.“