Keiner wäscht Politikern künftig die Köpfe

■ Wenn der Reichstag am kommenden Montag in Berlin eröffnet wird, fehlt nur eine einzige Bonner Institution: der Bundestagsfriseur. Der bleibt am Rhein. Architekt Sir Norman hat beim Reichstagsumbau den Salon vergessen

Ob Hinterbänkler oder Bundestagspräsident, alle werden sie am kommenden Montag in Berlin sein, wenn der umgebaute Reichstag eröffnet wird. Nur eine Institution, die zum politischen Alltag der alten Bundeshauptstadt gehörte,werden die Politiker im Wallot-Bau vergeblich suchen: Bundestagsfriseur Udo Münch bleibt mit seinen zehn Angestellten am Rhein zurück. „Es kann doch nicht jeder seine Sachen packen“, sagt der Friseurmeister fast trotzig.

Udo Münch und vor allem sein Vater Willi Münch haben in Bonn in den letzten fünfzig Jahren nahezu jedem Politiker den Kopf gewaschen. Schließlich haben sie ihr Studio in direkter Nähe zu Abgeordneten und Ministern – in „fußläufiger Entfernung“, wie es Altbundeskanzler Helmut Kohl liebt und dies auch bei der Planung des Berliner Regierungsviertels als Richtschnur für die Architekten und Stadtplaner ausgegeben wurde. Helmut Kohl, inzwischen einfacher CDU-Abgeordneter, kommt in den Sitzungswochen des Bundestags immer noch regelmäßig zu Münch und läßt sich waschen und schneiden. Ob Hans-Dietrich Genscher oder Horst Seehofer, ob Willy Brandt oder Jürgen Möllemann – beim Bundestagsfriseur Münch haben sie alle Platz genommen. „Sie sind froh , wenn sie hier sitzen und mal für eine halbe Stunde Ruhe haben“, hat Seniorchef Willi Münch (70) in langen Dienstjahren an ministerialen Köpfen erfahren.

Einen Kulturbruch oder Neuanfang hat es nach der letzten Bundestagswahl zumindest beim Fiseur nicht gegeben. Auch Regierungsmitglieder von SPD und Grünen kann man jetzt bei Münch antreffen, so etwa Verkehrsminister Franz Müntefering oder Bildungsministerin Edelgard Bulmahn. Nur Bundeskanzler Gerhard Schröder – den hat Münch in seinem Laden noch nie begrüßen dürfen. Wer Brioni-Mäntel trage, den ziehe es wohl mehr zu teuren Coiffeuren, sinniert der Chef.

Vorbei. Wenn der Bundestag und die Bundesregierung in Berlin sitzen, rechnet Udo Münch mit schweren Zeiten. „Ein Großteil der Politiker wird wohl nicht mehr kommen“, schwant dem Friseur. Man werde möglicherweise auch die Zahl der Angestellten reduzieren. Mit einem wirtschaftlichen Absturz rechnet er aber nicht. „Ein bißchen Stammkundschaft bleibt“. Münch setzt auf Pendler zwischen alter und neuer Hauptstadt: „Wir werden nicht mehr so prominente Köpfe haben, aber ein paar Köpfe bleiben.“

„Wenn die umziehen, ziehe ichnicht mit“, war für Willi Münch klar, als der Bundestag im Sommer 1991 erbittert über den Wechsel in die neue Hauptstadt stritt. Sein Sohn betont zwar , daß er Bonner ist und bleibt, aber als er den neuen Reichstag gesehen habe, habe es ihn doch gereizt. „Das wäre eine tolle Sache gewesen.“

Ist aber nicht. Etwas so Profanes wie ein Friseur war bei Architekt Norman Foster in den Umbauplänen für den Reichstag nicht vorgesehen. Dabei haben in der Vergangenheit viele Abgeordnete gerade die langweiligen Plenarsitzungen genutzt, um schnell bei Münch die Haare in Fasson zu bringen. Künftig wird dazu ein größerer Ausflug in die Berliner City nötig sein. Eine Begründung, warum die Institution nicht berücksichtig wurde, vermag der Pressesprecher des Bundestages, Bierhoff, nicht zu geben. Für das politische Klima im Reichstag könnte das durchaus Auswirkungen haben. In Bonn nämlich ist der Friseur der Ort, wo Politiker auf exterritorialem Gelände ihre Fehden beilegen können. „Im Fernsehen giften sich die Politiker an“, erzählte Willi Münch, „und in meinem Laden sind sie die besten Freunde.“ Gerd Nowakowski

war von 1980 bis 1998 bei der taz. Heute stellvertretender Lokalchef beim „Tagesspiegel“