Bündnis im Windschatten des Krieges

■  Innenpolitische Atempause entlastet die Regierung. Im Hintergrund wird weiter an einem Kompromiß zum Bündnis für Arbeit geschmiedet. Klausurtagung der Gewerkschaften mit Kanzleramtsminister Hombach

Berlin (taz) - Eines der größten Probleme bei der Fusion von Daimler und Chrysler ist, wie das Handelsblatt am Donnerstag offenbarte, die Angleichung der Vergütungen des deutschen und amerikanischen Managements. Zwar liegt die Macht eher bei Herrn Schrempp als bei Mr. Eaton. Aber Herr Eaton bekommt weitaus mehr Geld als Mr. Schrempp. „Wir wollen ein Vergütungssystem, das international wettbewerbsfähig und attraktiv ist“, heißt es neutralisierend in der Stuttgarter Konzernzentrale. Konkret bedeutet das: Die Bezüge der amerikanischen Manager werden so bleiben, wie sie sind, die der deutschen werden um ein Mehrfaches steigen. Natürlich hat das mit Sachzwängen bei der Integration unterschiedlicher Unternehmenskulturen und nichts mit Geldgier zu tun.

In der gleichen Ausgabe der Wirtschaftszeitung findet sich eine Statistik über die Entwicklung der Massenarbeitslosigkeit in Europa. Danach ist die Arbeitslosenquote in der EU zwar gesunken, aber nur unwesentlich von 10,7 Prozent 1997 auf 10,0 Prozent 1998. Deutschland liegt mit einer um 0,4 auf 9,6 Prozent leicht gesunkenen Arbeitslosenquote im europaweiten Trend. Die Verbesserung ist im wesentlichen auf den verstärkten Einsatz von Maßnahmen „aktiver“ Arbeitmarktpolitik im Wahlkampf zurückzuführen. Dynamische Entwicklungen auf der Managementebene, Stagnation in den unteren Etagen der Gesellschaft – das ist der gesellschaftliche Hintergrund für die Bemühungen der neuen Bundesregierung um ein „Bündnis für Arbeit“.

Gestern bemühte sich Kanzleramtsminister Bodo Hombach auf einer nichtöffentlichen Klausurtagung in Bonn um die Einbindung der Gewerkschaften. Mit welchem Erfolg, war bei Redaktionsschluß der taz-Jubiläumsausgabe noch nicht klar. Streitpunkt ist vor allem die Frage, ob die Lohnpolitik in die Bündnisgespräche mit einbezogen werden soll oder nicht. Die IG Metall ist strikt dagegen, andere Gewerkschaften sind da offener. Die Entscheidung darüber hängt wesentlich davon ab, welche Rahmenbedingungen die Politik für den sozialen Verteilungskampf um Zeit und Geld in Zukunft setzen wird. Kann es einen nachvollziehbaren Zusammenhang zwischen mehr Beschäftigung und Lohnzurückhaltung geben? Die Erfahrungen der letzten Jahre, in denen reale Einkommensverluste mit steigender Arbeitslosigkeit einhergingen, sprechen dagegen. Das vielgerühmte „Niederländische Modell“ spricht eher dafür, lebt allerdings auch von einem kalkulierten Lohnkostenvorteil des kleinen Landes gegenüber dem großen Nachbarn. Diesem ist die gleiche Strategie versperrt.

Mittelfristig ergiebiger für die Bündnisverhandlungen könnten die Beratungen der im Kanzleramt koordinierten „Benchmarking-Gruppe“ werden. Diese Gruppe, in der neben der Regierung auch die wichtigsten Interessengruppen und einige Wissenschaftler (z.B. der Arbeitswissenschaftler Wolfgang Streek) mitarbeiten, soll die national und international erfolgreichsten Strategien zur Überwindung der Arbeitslosigkeit auf ihre Tauglichkeit für die Bundesrepublik hin untersuchen und entsprechende Vorschläge in die offiziellen Bündnisdiskussionen einbringen. Hier wird sich zeigen, ob die Arbeitgeber bereit sind, einen neuen sozialen Kompromiß mit den Gewerkschaften, mit den Sozialverbänden und einer sozialstaatlich orientierten Politik zu suchen.

Entgegen den Forderungen der Unternehmer wird es nicht nur um Niedriglohnsektor und Lohnzurückhaltung, um die Senkung der Lohnnebenkosten und Unternehmenssteuern gehen. Die erfolgreichsten Beispiele europäischer Arbeitsmarktstrategien, die Niederlande und Dänemark, beruhen im wesentlichen auf einem anderen Umgang mit der gesellschaftlichen Arbeitszeit: Erwerbsarbeitsfreie Zeit wird von den Arbeitslosen abgezogen und in Form selbst gewählter Teilzeit und Arbeitsunterbrechungen zu jenen Menschen gebracht, die mehr davon haben wollen. Damit sie das tun können, brauchen sie veränderte sozialpolitische Rahmenbedingungen. Die Politik muß ihre Hausaufgaben machen, wenn aus dem „Bündnis“ etwas werden soll.

Die Chancen dafür könnten sich – in einem zynischen politischen Zusammenhang – durch den Krieg im Kosovo verbessert haben. Nach ihrem chaotischen Start mit dilettantischen Fehlleistungen bei der Neufassung des 630-Mark-Gesetzes, beim Atomausstieg und anderen Vorhaben ist der Regierung durch den Krieg eine innenpolitische Atempause zugefallen. Sie ist von der konservativen Kritik aus dem Unternehmerlager und der parlamentarischen Opposition weitgehend entlastet. Sie könnte jetz in Ruhe daran gehen, die Bedingungen für einen neuen gesellschaftlichen Kompromiß in der Bundesrepublik auszuloten. Das setzt allerdings voraus, daß die Arbeitslosenstatistik in der Diskussion über die Modernisierung der Republik einen größeren Stellenwert bekommt als die Gehaltsentwicklung des Herrn Schrempp.

Martin Kempe

55, bei der taz von 1979 bis 1991, heute freier Journalist und Buchautor